Hendricks rückt dem Diesel zu Leibe

Berlin · Bei Deutschlands Autobauern geht die Angst um. Läutet der VW-Skandal den Niedergang des Diesel ein? Umweltministerin Hendricks will die Technologie nicht verteufeln, aber bessere Abgastests durchsetzen.

 Laufen Dieselmotoren wirklich so sauber, wie es vorgeschrieben ist? Das soll künftig nicht nur auf der Testrolle, sondern auch im Straßenverkehr überprüft werden. Foto: Audi

Laufen Dieselmotoren wirklich so sauber, wie es vorgeschrieben ist? Das soll künftig nicht nur auf der Testrolle, sondern auch im Straßenverkehr überprüft werden. Foto: Audi

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Dass die VW-Affäre auch politische Konsequenzen haben würde, war klar. Jetzt kommen sie schneller als erwartet. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD ) schlug gestern in einem Positionspapier vor, den Schadstoffausstoß von Diesel-Autos nicht nur auf Testständen, sondern auch im Realbetrieb zu messen - und zwar so scharf, wie es die EU fordert. Offen ist aber, ob der Koalitionspartner da mitgeht.

Schärfere Grenzwerte für Diesel-Fahrzeuge verlangt Hendricks ausdrücklich nicht, es gelte die neue Euro-6-Norm. Aber viel zu lange habe man toleriert, dass die Werte im realen Fahrbetrieb nicht eingehalten würden. Ähnlich äußerte sich kürzlich Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter : "Wir machen den ganzen Zirkus ja nicht, damit die Motoren für Rollenprüfstände optimiert sind, sondern damit sich die Luft verbessert."

Tatsächlich werden im Realbetrieb die Soll-Werte flächendeckend über alle Marken um das Drei- bis Vierfache überschritten, wie Experten vorige Woche bei einer Anhörung der Grünen berichteten. Das kommt auch passiv bei den Bürgern an, die diese Luft einatmen müssen. So wies das Umweltbundesamt bei der Veranstaltung darauf hin, dass die Stickstoff-Werte an den Messstellen in den Städten trotz stetig verschärfter Ausstoßgrenzen für Diesel-Motoren "seit Jahren" unverändert geblieben seien. An 60 Prozent der Messstellen würden die Grenzwerte überschritten.

Die EU-Kommission will nun bei der Typenzulassung neben den Messungen auf Rollenprüfständen auch Messungen im Realverkehr durchführen lassen, bei denen die Grenzwerte ab 2017 um das 1,6-fache, ab 2019 nur noch um das 1,2-fache überschritten werden dürfen. Hendricks fordert nicht mehr, aber auch nicht weniger, als diese EU-Richtlinie "schnellstmöglich" umzusetzen: "Das wäre ein Riesenfortschritt." In einem Punkt geht sie noch weiter. Weil VW eine Betrugs-Software einbaute, die erkannte, wann ein Fahrzeug unter Testbedingungen gemessen wurde und erst dann die Filter einschaltete, sollten zusätzlich unabhängige Kontrollen im Alltagsbetrieb von einer Behörde durchgeführt werden. Eine Art Ökotest - und zwar auf Kosten der Hersteller.

Die Grünen freuen sich darüber, sie fordern praktisch dasselbe. Über einen entsprechenden Antrag von ihnen debattiert der Bundestag heute. Allerdings bezweifelt die Opposition, dass Hendricks sich in der Koalition durchsetzen kann. Mit einem gewissen Recht. Als der Grünen-Verkehrspolitiker Stephan Kühn gestern im Verkehrsausschuss beim CSU-geführten Verkehrsministerium nachfragte, ob man die Positionen der Umweltministerin denn teile, bekam er von Staatssekretär Norbert Barthle (CDU ) die Antwort: Dazu gebe es noch keine abgestimmte Haltung in der Bundesregierung. Das heißt übersetzt: Darüber sind wir uns noch nicht einig.

Das muss man aber werden, denn bis morgen soll Berlin nach Brüssel melden, wie es den Vorschlag der EU-Kommission findet. Die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Marie-Luise Dött, sagte der SZ: "Klar ist, Grenzwerte müssen auf der Straße, nicht nur im Labor oder auf dem Teststand eingehalten werden." Man werde jedoch keine Vorschläge akzeptieren, die die Lasten der Grenzwert-Einhaltung einseitig auf die Bürger abwälzen würden. Der CDU-Abgeordnete Thomas Viesehon, in dessen Wahlkreis ein VW-Werk steht, warnte vor "Schnellschüssen".

Ministerin Hendricks wiederum betont, dass sie den Diesel nicht "verteufele". Schließlich sei er Energie-effizienter als ein Ottomotor . Grundsätzlich, meint sie, gefährdeten die bekannt gewordenen Probleme auch nicht die deutschen Ziele zur CO{-2}-Reduzierung. Selbst wenn der Marktanteil der Diesel-Fahrzeuge abnehme, würden doch die verbindlichen Vorgaben für die CO{-2}-Emissionen der Gesamtflotten gelten. Um diese Vorgaben sicherer einzuhalten, schlug die Ministerin vor, den Kauf von Elektro-Fahrzeugen künftig zu bezuschussen. Bisher hakt der Absatz von E-Mobilen auch wegen der hohen Kaufpreise gewaltig.

Zusätzlichen Druck auf die Senkung der Stickoxid-Emissionen aus Dieselfahrzeugen will Hendricks dadurch ausüben, dass künftig Innenstädte nicht nur gesperrt werden sollen, wenn die Feinstaub-Grenzwerte überschritten sind, sondern auch, wenn dies bei den Stickoxiden der Fall ist. Auf der nächsten Umweltministerkonferenz mit den Ländern soll das bereits ein Thema sein.

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HintergrundFür einige Saar-Betriebe sind Geschäfte mit dem Diesel eine Lebensgrundlage. Halberg-Guss baut Motorblöcke, 50 Prozent der Tonnage betrifft Dieselfahrzeuge , sagt Geschäftsführer André Masur. Hauptkunden sind Volkswagen und Daimler. Man unterscheide beim Diesel zwei Generationen. Produziert werde vor allem für die neue Generation, die 85 Prozent ausmacht und nicht zu Abgas-Problemen geführt habe. "Ein Abwenden vom Diesel würde zahlreiche Arbeitsplätze gefährden, auch bei uns", so Masur. Der Antriebsstrang im Fahrzeug für Diesel- und Benziner ist Haupt-Tätigkeitsfeld der Saar-Zulieferer. Teile für Dieselfahrzeuge produzieren auch Bosch Homburg, Eberspächer Neunkirchen und Schaeffler Homburg. ts

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