Harter Schlag für Tony Blair

London · Die Entscheidung des Ex-Premiers Tony Blair zum Einmarsch in den Irak sei voreilig getroffen worden und auf Grundlage fehlerhafter Geheimdienst-Informationen. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchungskommission.

 Demonstranten rund um Westminster haben ihre Hände in künstliches Blut getaucht und tragen Blair-Masken. Foto: Oliver/dpa

Demonstranten rund um Westminster haben ihre Hände in künstliches Blut getaucht und tragen Blair-Masken. Foto: Oliver/dpa

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Die Trauer und schrecklichen Bilder begleiten Sarah O'Connor jeden Tag. Gestern aber war der Irakkrieg wieder so präsent wie damals im Januar 2005, als die Britin erfuhr, dass über Bagdad der Helikopter abgeschossen wurde, in dem ihr Bruder saß. Es war der Tag, "an dem unsere Familie starb", sagt die blonde Frau unter Tränen. Der 38-jährige Bob O'Connor gehörte zu den 179 britischen Soldaten , die zwischen 2003 und 2009 im Irakkrieg getötet wurden. Seitdem versuchten die Angehörigen verzweifelt zu erfahren, warum und wofür ihre Verwandten ihr Leben ließen. Sieben Jahre lang mussten sie auf Antworten warten.

Gestern dann veröffentlichte die sogenannte Chilcot-Kommission ihren Bericht, für den sie etliche Zeugen befragt und geheime Dokumente ausgewertet hat. Das Urteil ist für den damaligen Premierminister Tony Blair vernichtend. Großbritanniens Entscheidung, an der Seite der USA in den Irak einzumarschieren, sei voreilig getroffen worden, bevor "alle Möglichkeiten einer friedvollen Lösung ausgeschöpft" wurden, sagte der Diplomat Sir John Chilcot bei der Vorstellung des Reports in London . "Militärische Aktionen zur damaligen Zeit waren nicht die letzte Option." Man habe sich auf fehlerhafte Geheimdienst-Informationen verlassen, dabei hätten die Angaben, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, in Frage gestellt werden müssen. Der Leiter der Kommission kritisierte, Blair habe das nicht getan. Mehr noch, der Ex-Premier habe sie als beweiskräftiger dargestellt als das gerechtfertigt gewesen sei. Dabei sei 2003 vom damaligen Machthaber Saddam Hussein "keine unmittelbare Gefahr" ausgegangen.

Die Untersuchung bemängelt zudem die Durchführung des Einsatzes, die Ausrüstung der Truppen und die Planlosigkeit für die Zeit danach. Die Vorbereitungen für einen Irak nach Saddam seien "völlig unzu reichend" gewesen, las der Kommissionschef Chilcot aus dem Bericht vor. Es war jedoch ein Satz aus Blairs Korrespondenz an den damaligen US-Präsidenten George W. Bush, der für die größte Empörung auf der Insel sorgte. Schon im Juli 2002, also Monate vor der Invasion im März 2003, versprach der Brite dem US-Kollegen: "Ich bin mit dir, was auch geschehen möge." Während einer mehr als zweistündigen Pressekonferenz präsentierte er sich gestern sichtlich angeschlagen. "Ich drücke mehr Kummer, Bedauern und Entschuldigung aus, als Sie jemals wissen oder glauben können", sagte er. Mit brüchiger Stimme und Tränen in den Augen übernahm er die "volle Verantwortung" für die Fehler. Die Entscheidung für den Krieg sei die "quälendste" seiner Amtszeit als Premier gewesen. Doch die Soldaten seien nicht umsonst gestorben,. "Die Welt ist ein besserer Ort ohne Saddam Hussein ", so Blair.

Meinung:

Ein tiefer Absturz

Von SZ-Korrespondentin Katrin Pribyl

Die meisten Briten und vor allem Angehörige der im Irakkrieg getöteten Soldaten gingen davon aus, dass die Rolle von Premierminister Tony Blair durch den Chilcot-Report schöngefärbt und reingewaschen werden würde. Es kam anders. Der Bericht fällt ein vernichtendes Urteil. Blair übernahm zwar die volle Verantwortung, aber was blieb ihm auch anderes übrig? Auch wenn Blair zum Bedauern vieler Kriegsgegner nicht juristisch belangt werden kann, ist sein Absturz tiefer als er sich ihn jemals hätte ausmalen können. Die wichtigste Botschaft des Chilcot-Reports an alle Politiker lautet, sich genau mit den verheerenden Fehlern auseinanderzusetzen. Und aus ihnen zu lernen.

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