Hansdampf in allen Kulissen: Horst-Dieter Bächle ist das Faktotum des Staatstheaters

Saarbrücken · Sechs Intendanten gingen, er blieb – und verkörpert wie kein Zweiter saarländische Theatergeschichte: Horst-Dieter Bächle (79). Rund 100 000 Saarländer hat er in über 30 Jahren durch das Staatstheater geführt.

 Unerschöpflicher Quell an Anekdoten: Wenn Horst-Dieter Bächle durchs Staatstheater führt, lohnt es sich immer, aufmerksam zuzuhören. Fotos: Oliver Dietze

Unerschöpflicher Quell an Anekdoten: Wenn Horst-Dieter Bächle durchs Staatstheater führt, lohnt es sich immer, aufmerksam zuzuhören. Fotos: Oliver Dietze

 Plakate, Fotos, Masken: Das Büro von Horst-Dieter Bächle steckt voller Erinnerungen rund um das Theater.

Plakate, Fotos, Masken: Das Büro von Horst-Dieter Bächle steckt voller Erinnerungen rund um das Theater.

Foto: Dietze

Wenn es ihn nicht gäbe, man müsste ihn erfinden - als Bühnenfigur eines Zauberers, der die Wunderkammer Theater bewacht. Dort steht eine märchenhafte Anekdoten-Schatztruhe. Nur er - Horst-Dieter Bächle (79) - kann sie öffnen. Man muss hinab in den Staatstheater-Keller, um ihn zu finden. Dort, in einem fensterlosen Raum, in den die Stimmübungen der Sänger und die Bühnenansagen dringen, sitzt freilich kein weißhaariges Phantom der Oper . Horst-Dieter Bächle trägt schwarze Jeans und Lederjacke, als wolle er im nächsten Moment auf einem Motorrad in die West-Side-Story brausen - und niemand im Saarländischen Staatstheater würde sich darüber wundern. Bächle ist ein "Factotum della città", so singt es der "Barbier von Sevilla": ein Mädchen für alles und Hansdampf in allen Theatergassen, im ganzen Land bekannt wie ein bunter Hund.

Rund 100 000 Saarländer hat er in 37 Jahren in die abgelegensten staubigen Ecken des Staatstheaters geführt, hat seit den 1950er-Jahren annähernd jede Premiere am Großen Haus gesehen, war keinen einzigen Tag krankgeschrieben. "Ich lebe entsprechend", sagt er, "Trinke Wein, singe und mache Sport." Nun ja, ganz so salopp läuft der Alltag dann doch nicht. Denn Bächle improvisiert nicht gern, bereitet sich immer noch akribisch vor. Bis zu dieser Spielzeit hat er noch Schülerführungen angeboten. Dann betrat er bereits um sieben Uhr das Haus, um mit dem Bühnenmeister über die Abläufe zu sprechen, damit er später nicht stört. Das bedeutete: "Fünf Uhr morgens aufstehen, eiskalt duschen, ein Kaffee und die Fünf Tibeter." Letzteres ist eine Abfolge gymnastischer Übungen. Und wenn die Schüler-Horde dann später jaulte und maulte, "habe ich sie mit Bonbons aus dem Theater gefüttert", sagt er. Und meint: mit Storys und Skandälchen. Die sind witzig-süß.

Bächles Festanstellung endete 2001, seitdem unterschreibt er Werkverträge. Nach eigener Aussage kommt er immer noch täglich zu Fuß ins Theater, um den Anrufbeantworter abzuhören, auf den die Leute ihre Wünsche nach Führungen und nachRückrufen sprechen. Bächle lebt in der Nähe der Ludwigskirche, ist seit über 50 Jahren mit einer ehemaligen Choristin verheiratet, hat drei Kinder und vier Enkel: "Es wird viel gesungen, gegeigt und musiziert."

Als Sänger fing er 1965 am Staatstheater an, wurde später Inspizient, Regieassistent, Disponent, dann PR-Pionier - dank Intendant Martin Peleikis. Der erfand 1979, als die Busse nicht mehr selbstverständlich zur Operette vorfuhren, die Werbeabteilung und machte Bächle zum einzigen Mitarbeiter und Leiter. So stieß Bächle, der, wie er erzählt, als Sänger nie wirklich glücklich war, weil er Probleme mit dem hohen C hatte, erst im Alter von 41 auf seine wahre Berufung: Menschen mit Hilfe der eigenen Begeisterung, mit Detailkenntnissen und Entertainment fürs Theater zu gewinnen. "Mir war nichts zu viel", sagt er im Rückblick. 26 Jahre lang stand er jeden Mittwoch in der Mensa der Saar-Universität und brachte bis zu 800 Karten ans Studenten-Volk. Er verteilte auf dem Webenheimer Marktplatz Freikarten für die "Lustige Witwe", schleppte Echthaarperücken in die Blieskasteler Bosenberg-Kliniken, um seine "Vorträge über die 61 Berufe am Theater" aufzumöbeln. Gefühlte 60 davon hat er bereits ausgeübt.

Was machte er als Tenor? Bächle bleckt lächelnd die Zähne - die "offene Miene", er hat sie gelernt. 1964 legte Bächle in Saarbrücken die "Opernreifeprüfung" ab. Trainiert wurde er zuvor von einem ganz Großen im Fach und Weltstar, von Fritz Wunderlich (1930-1966), laut Bächle ein "intelligenter Naturbursche". Der legte dem Stotterer Bächle Lexika auf den Bauch, ermutigte ihn. Sie kannten sich vom Fußball, wuchsen in Kusel auf. Als Bächles Mutter, eine Mezzosopranistin, 1949 starb, war der elfjährige Bächle bereits theaterinfiziert, schlich in Kaiserslautern und in Saarbrücken ums Theater, magisch angezogen von kleinen Geheimnissen und großen Momenten. Bis heute ist das so. Dank eines professionell geschulten Gedächtnisses kennt Bächle jedes bedeutende Datum der Staatstheater-Geschichte, die Namen von Ensemble-Mitgliedern, von Gastregisseuren und Bühnenbildnern. Kurz: Man trifft ein wandelndes Lexikon.

Bächles Büro gleicht einer Asservatenkammer, ist zugleich eine sehr persönlich dekorierte, mit Souvenirs vollgestopfte Villa Kunterbunt: Fotos, Zeitungsausschnitte, Plakate, Ballettschuhe, Masken, Bühnenbild-Modelle. Doch der Eindruck täuscht. Bächle ist kein Mann fürs Sentimentale. Die Rückwärtsgewandtheit vieler seiner Altersgenossen kann er schwer nachvollziehen: "In allen Lebensbereichen will man Neues. Nur im Theater soll alles so bleiben, wie es früher war, wie in einem Museum. Das wäre doch furchtbar."

Er selbst heult in der Oper und findet, alle Zuschauer sollten sich anrühren lassen: "Im Theater muss man gepackt und durchgeschüttelt werden", sagt er. Für ihn wäre es "zum Wahnsinnigwerden schön", schaffte das Saarbrücker Haus nochmal einen "Ring". Bächle bezeichnet sich als "romantische Seele". Gerade lernt er Heinrich Heines "Waldeinsamkeit" auswendig, 39 Strophen. Drei Monate braucht er, bis es sitzt: "Das ist mein Ersatzgesang." Doch auf die Bühne drängt es ihn nicht. "Ich lebe mit den anderen", sagt er. Was heißt: Vor jeder Premiere fühlt er sich so aufgewühlt und aufgeregt, als müsse er selbst vor den Vorhang. Ein Bühnenleben aus zweiter Hand? Beneidenswert gefühlsintensiv.

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