Gysi attackiert die Groko-Gummiwand

Berlin · Wenn es um den Haushalt geht, fliegen normalerweise im Bundestag die Fetzen. Nicht so in dieser Legislaturperiode. Zu groß ist die Übermacht der Koalition. Das bekam gestern Gregor Gysi zu spüren.

Wie kann man die Politik der großen Koalition angreifen? Der Bundeshaushalt eignet sich dafür wenig, schließlich ist er 2014 "strukturell ausgeglichen", zum ersten Mal seit 45 Jahren, wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU ) stolz verkündet. Vielleicht mit den großen Fragen, Europa, Ukraine, Krieg und Frieden? Gregor Gysi von den Linken, der sich trotz magerer 8,6 Prozent Wahlergebnis Oppositionsführer nennen darf, probiert das. Und schießt ein Eigentor.

Gysi attackiert nicht nur Merkel wegen ihrer "falschen Sparpolitik" in Europa, wegen der Rüstungsexporte und ihrer Russland-Politik, er greift auch Joachim Gauck an. "Wie sagt unser Bundespräsident? Wir sollen noch mehr an Militär-einsätzen teilnehmen. Das bedeutet aber nicht, wie er meint, mehr Verantwortung, das bedeutet mehr Verantwortungsversagen", ruft der Linken-Fraktionschef aus. Dieser Satz trägt ihm hinterher nicht nur den Rüffel von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU ) ein. Auch die späteren Koalitionsredner finden hier ihre Munition. Sie halten Gysi vor, dass er Gauck auch noch unkorrekt zitiert habe. Der hatte vor zwei Wochen gesagt, Deutschland dürfe den Einsatz militärischer Mittel "als letztes Mittel nicht von vornherein verwerfen".

Durch das Eigentor lenkt Gysi selbst ab von seiner durchaus pointierten innenpolitischen Kritik an der Koalition: Dass die Mütterrente nur aus den Sozialkassen finanziert wird, nicht aber von allen aus dem Steuertopf. Dass die Vermögenden in Deutschland besonders wenig belastet werden. Oder dass die Kanzlerin in Sachen NSA-Abhörskandal gegenüber US-Präsident Barack Obama "duckmäusig" gewesen sei. Auch der Grüne-Fraktionschef Anton Hofreiter nennt solche Punkte. Er formuliert zwar lauter als Gysi, allerdings wesentlich weniger mitreißend, so dass sogar in seinen eigenen Reihen währenddessen auf den Handys nach interessanteren Neuigkeiten gesurft wird.

Es kommt im Bundestag an diesem Mittwoch nicht zu einem heißen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition, wie es sonst bei Generaldebatten über den Haushalt üblich ist. Erstens, weil die große Koalition 80 Prozent Mehrheit und entsprechend viel Redezeit für Selbstlob hat. Und zweitens, weil die Kanzlerin in ihrer 30-minütigen Rede fast aufreizend monoton eigene Erfolge herunterbetet. Das reicht von "Deutschland bleibt Wachstumsmotor" bis zum pathetischen Schlusssatz, dass Europa "ein Schatz von Frieden, Freiheit und Wohlstand" sei. Phasenweise ist das Parlament so sediert, dass es viele Minuten lang keinerlei Reaktionen mehr gibt. Auch die Minister auf der Regierungsbank wirken nicht besonders aufmerksam. Nur Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU ) hört ganz genau zu, denn Merkel widmet gleich zu Beginn eine auffällig lange Passage der Bildungspolitik, wo sie von "historischen Schritten" und "richtungweisenden Investitionen" spricht. Intern soll Merkel kürzlich kritisiert haben, dass die Erfolge der Regierung zu schlecht verkauft würden. Jetzt nutzt sie ihre Redezeit um allen anderen Kabinettsmitgliedern eine kleine Lehrstunde zu geben. In diesem Parlament kann sich die Kanzlerin das leisten.

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