Guantanamo - kein Ende in Sicht

Washington. Der Bremer Murat Kurnaz weiß bis heute nicht, warum er fünf Jahre seines Lebens in der US-Enklave Guantanamo auf Kuba verbrachte. "Ich bin kein Terrorist. Ich war niemals Mitglied der Al Qaida oder habe sie unterstützt

Washington. Der Bremer Murat Kurnaz weiß bis heute nicht, warum er fünf Jahre seines Lebens in der US-Enklave Guantanamo auf Kuba verbrachte. "Ich bin kein Terrorist. Ich war niemals Mitglied der Al Qaida oder habe sie unterstützt. Ich verstehe nicht einmal deren Ideen", rekapituliert er in der "New York Times" seine Odyssee, die ihn zwischen 2002 und 2006 in das Gefangenenlager brachte, dessen orangefarbene Hosenanzüge und Stahlkäfige zum Symbol der Exzesse in George W. Bushs "Krieg gegen den Terror" wurden. Heute besteht das Lager seit zehn Jahren.Es ist ein Schandfleck, den Obama kurz nach seiner Amtsübernahme tilgen wollte. Drei Jahre später scheint dieses Ziel so außer Reichweite zu sein, wie Kurnaz darauf hoffen darf, für die verlorenen Jahre kompensiert zu werden. Oder mindestens ein Wort der Entschuldigung zu erhalten. In eindrücklichen Details ruft er die Übergriffe in Erinnerung. "Sie tauchten meinen Kopf unter Wasser und schlugen mir in den Magen", erinnert er sich an die endlosen Verhöre, bei denen seine Peiniger Kurnaz immer wieder fragten: "Wo ist Bin Laden?" Für Kurnaz zahlten die Amerikaner 3000 Dollar Kopfgeld an Pakistani, die den türkisch-stämmigen Deutschen an sie übergaben. Sein Verbrechen? Der 19-jährige hatte eine muslemische Akademie besucht. Lärmfolter, Hitze und Kälteterror, Schlafentzug und Demütigungen - so ging es Dutzenden Gefangenen, die in "Camp X-Ray" landeten, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren

2003 hielt die Bush-Regierung hier bis zu 700 "feindliche Kämpfer" fest. Viele von ihnen unschuldig. "Ich frage mich, ob die US-Regierung uns für immer festhalten will?", schreibt der 37-jährige Suleiman al-Nahdi in einem Brief an seinen Anwalt. Al-Nahdi gehört zu den verbleibenden 171 Gefangenen. Auf nur 36 Gefangene, darunter der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge des 11. September 2001, Khalid Sheik Mohammed, wartet ein Prozess vor einer Militärkommission. Weitere 46 Häftlinge werden ohne Prozess "unbegrenzt" festgehalten, weil sie als "zu gefährlich" gelten. Alle anderen wie Al-Nahdi könnten freigelassen werden. Gäbe es da nicht die Einschränkungen des US-Kongresses.

Dieser hat auf dem Gesetzesweg den Exekutiv-Befehl Obamas, das Lager zu schließen, effektiv untergraben. Dazu gehört auch das Verbot, Gefangene auf das amerikanische Festland zu verlegen. Der Präsident hält am Jahrestag an seinem Versprechen fest, das Lager zu schließen. "Die Entschlossenheit des Präsidenten ist heute so stark wie während des Wahlkampfs", erklärt der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney.

Während der Präsident bisher mit der Schließung des Lagers an dem Widerstand der Gesetzgeber scheiterte, hat Obama aber viele der umstrittenen Praktiken abgeschafft. Die Gefangenen sitzen nicht mehr in Käfigen, sondern einem modernen Gefängnis mit Zugang zu Kabelfernsehen, einer Bibliothek und Fitnessgeräten. Der stolze Preis pro Jahr und Gefangenen für die Unterbringung in dem Lager beläuft sich auf rund 800 000 US-Dollar.

Murat Kurnaz hatte Glück im Unglück. Während er heute noch immer mit den psychologischen Spätfolgen ringt, ist er zumindest auf freiem Fuß. Das blieb anderen Unschuldigen nicht vergönnt. Der letzte, der Gitmo im Mai 2011 verlassen konnte, war der 37-jährige Haji Nassim: Als toter Mann, erhängt an einer Bettdecke.

Hintergrund

Amnesty International (AI) hat erneut eine Schließung des US-Gefangenenlagers Guantanamo gefordert. Es werde Zeit, dass Präsident Barack Obama sein Versprechen umsetze, sagte der Generalsekretär von AI Deutschland, Wolfgang Grenz. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), forderte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung", dass alle in Guantanamo Inhaftierten vor ordentliche Zivilgerichte gestellt werden. kna

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