Grundrecht auf würdevolle Pflege?

Karlsruhe · Um eine menschenwürdige Pflege in den Altenheimen zu erreichen, will der Sozialverband VdK per Klage in Karlsruhe Mindeststandards festlegen lassen. Dazu sucht der Sozialverband nun Musterkläger.

Der Sozialverband VdK will über eine außergewöhnliche Klage beim Bundesverfassungsgericht gesetzliche Mindeststandards für die menschenwürdige Pflege in Altenheimen erreichen. Einen grundrechtlichen Schutz, auf dessen Einhaltung der Verband pochen kann, gibt es nicht. Er soll deshalb in Karlsruhe eingeklagt werden - laut VdK analog zur staatlichen Schutzpflicht Kindern gegenüber. Und auf Grundlage der Karlsruher Entscheidung zum sogenannten Großen Lauschangriff von 2004.

Nach Auffassung der Juristin Susanne Moritz sind Missstände in Pflegeheimen keine Einzelfälle: Beispielsweise würden Medikamente missbraucht, um Pflegebedürftige ruhig zu stellen, sagt die Expertin. "Es gibt nicht genehmigte Fixierungen etwa durch Bettgitter oder Leibgurte". Alte können sich ebenso wenig gegen Gewalt und Vernachlässigung in Pflegeheimen schützen, wie Kinder vor gewalttätigen Eltern, argumentiert der VdK. Weil in Pflegeheimen Studien zufolge die Menschenwürde und das Recht auf körperliche Unversehrtheit von bis zu 20 Prozent der Heimbewohner verletzt würden, verletze der Staat mit seiner Untätigkeit seine Schutzpflicht gegenüber den Betroffenen. Dieses gesetzgeberische Unterlassen sei so gravierend, dass ein neues Gesetz eingeklagt werden könne, das die Grundrechte der Alten schützt.

Klagen sollen allerdings nicht die Heimbewohner selbst: Der Weg durch alle Gerichtsinstanzen dauert rund acht Jahre, das ist für viele Betroffene zu lang. Heimbewohner versterben im Durchschnitt schon nach sechs Monaten. Der Verband will deshalb ausgesuchte Bürger präventiv klagen lassen und verweist dazu auf eine Idee von Susanne Moritz. Ihr zufolge hat das Bundesverfassungsgericht beim Streit um den Großen Lauschangriff allen Bürgern erstmals solch ein vorbeugendes Klagerecht eingeräumt. In der wegweisenden Entscheidung vom 3. April 2004 hatte das Gericht die Klage von Bürgern angenommen, die vom Staat noch nicht einmal bespitzelt worden waren. Laut Urteil kann aber jeder unbescholtene Bürger zum "Objekt" einer akustischen Wohnraumüberwachung werden, ohne dass er davon erfährt und sich rechtlich dagegen wehren kann. Damit war die notwendige Klagevoraussetzung, die "mögliche eigene Betroffenheit", für das Gericht erfüllt und der Weg für präventive Klagen frei.

In Analogie dazu sucht der VdK nun Musterkläger, die den Missständen in Heimen wegen ihrer jeweils persönlichen Betroffenheit hilflos ausgeliefert wären: Alleinstehende etwa, bei welchen das Risiko einer erblich bedingten späteren Demenzerkrankung besteht.

Auf die Klagen könnte Karlsruhe dann das Unterlassen des Staates bei auftretenden Missständen für verfassungswidrig erklären und eine menschenwürdige Unterbringung von Pflegebedürftigen fordern. Viele, die jetzt in einem Heim leben, dürften solch ein Urteil aber nicht mehr erleben.

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