Grüne Künast will Berlin regieren

Berlin. Dass sie es prinzipiell kann, war klar. Schließlich war sie Bundesministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz und Bundesvorsitzende ihrer Partei, schließlich leitet sie jetzt die Bundestagsfraktion der Grünen. Dass sie es auch will, weiß die Nation erst seit gestern Abend

Berlin. Dass sie es prinzipiell kann, war klar. Schließlich war sie Bundesministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz und Bundesvorsitzende ihrer Partei, schließlich leitet sie jetzt die Bundestagsfraktion der Grünen. Dass sie es auch will, weiß die Nation erst seit gestern Abend. Da erklärte Renate Künast (Foto: dpa) in Berlin vor Mitgliedern ihrer Partei, dass sie bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2011 Klaus Wowereit (SPD) herausfordern wird. "Ich bin bereit. Ich kandidiere für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin", sagte sie. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wollen die Grünen bei Wahlen den Job des Regierungschefs.

Seit Monaten wurde über Künasts Ambitionen spekuliert. Denn die Grünen liegen in der Hauptstadt mit bis zu 30 Prozent in den Umfragen vor der regierenden SPD. Amtsinhaber Klaus Wowereit wirkt nach fast zehn Jahren lustlos und geschwächt. Doch die Kandidatin hüllte sich bis gestern eisern in Schweigen, um die Spannung noch anzuheizen. Ihre Erklärung gab die 54-Jährige dann beziehungsreich im Museum für Kommunikation ab. Kommunikation mit den Bürgern, Bürgerbeteiligung und Volksentscheide, das gibt sie als ihre Hauptanliegen aus. Damit hat sie treffsicher die Achillesferse Wowereits erwischt. Der hat ein Kommunikationsproblem. Mit den bürgerlichen Schichten der Stadt wegen der unchristlichen verkaufsoffenen Adventssonntage, mit den Süd-Berlinern wegen der Flugrouten des neuen Airports Berlin-Brandenburg International, die lange geheim gehalten wurden, mit den alten West-Berlinern wegen der Schließung des Flughafens Tempelhof, für den es keine richtige Nachnutzung gibt. Wowereit wirkt nervös. Wenn Künast kommen wolle, dann "ohne Wenn und Aber und ohne Rückfahrschein", sagte er gestern unter Anspielung auf die Tatsache, dass Künast ihr Amt als Fraktionschefin im Bundestag zunächst behalten will. Es ist ein in Berlin beliebtes Argument gegen Außenbewerber. Aber Künast kommt nicht, sie ist schon da. Sie hat ihren Wahlkreis in Tempelhof. Dort, wo Wowereit geboren ist. Sie war schon Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, als sich der heutige Bürgermeister noch als Stadtrat für Volksbildung im Bezirksamt mühte.

Meinung

Schlaft weiter, Genossen!

Von SZ-Korrespondent

Werner Kolhoff

Wenn die regierende Koalition nur noch 37 Prozent auf die Waage bringt, allein Rot-Grün aber 49 Prozent, ohne Linke, dann ist das ein radikaler Stimmungsumschwung. Auf Oppositionsseite erstaunt der sensationelle Höhenflug der Grünen. Auch nur eine momentane Zeiterscheinung, wie man an der SPD-Spitze zu glauben scheint? Schlaft weiter, Genossen. Wenn es erst irgendwo in einem Land Grün-Rot statt Rot-Grün heißt, dann bald überall. Dann wird aus der momentanen Stimmung schnell eine tektonische Verschiebung der politischen Landschaft, zumal die SPD in größten Identitätsproblemen steckt. Renate Künast hat gestern die entsprechende Kriegserklärung für die Landesebene Berlin überreicht. Auf die Antwort der SPD-Bundesspitze darf man gespannt sein.

Hintergrund

Die Grünen haben im "Deutschlandtrend" der ARD mit 22 Prozent ein neues Allzeithoch erreicht. Sie verbesserten sich um zwei Punkte. Zusammen mit der SPD, die unverändert auf 27 Prozent kommt, hätte Rot-Grün eine klare Mehrheit, wenn am Sonntag Wahl wäre. Die Union kommt auf 32, die FDP auf fünf Prozent. dpa

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