Griechen entscheiden bei der Volksabstimmung am Sonntag über weiteren Spar- und Reformkurs

Athen · Ganz Europa blickt mit Spannung nach Athen, wo die Griechen am Sonntag darüber abstimmen, ob sie mit dem harten Sparkurs der Gläubiger einverstanden sind oder nicht. Auch in Berlin und im Saarland sieht man dem mit gemischten Gefühlen entgegen.

Es ist 7.39 Uhr, und in der "Varvakeio- Agora", dem Athener Fleischmarkt in der zentralen "Athinas"-Straße merkt man rasch: Die Fleischverkäufer in ihren weißen Arbeitskitteln sind an diesem lauen Mittwochmorgen nicht so laut wie sonst. Ohne Umschweife erklären sie den Grund. Es sei halt wenig los, der Umsatz sei zu dieser Zeit mit Ach und Krach etwa halb so hoch wie sonst, klagen sie unisono an ihren üppig bestückten Ständen. Auch der Händler Georgios Masialas (64) ist schon auf den Beinen.

Und was wird Masialias am Sonntag beim Referendum über die Sparvorschläge von Griechenlands Gläubigern wählen? Masialas lapidar: "Ich bin noch unentschlossen. Wahrscheinlich mit Ja." Weshalb? "So kann es einfach nicht mehr weitergehen."

Das sehen nicht alle Griechen und Griechinnen so. Was sie am Sonntag wählen wird, weiß die Familienmutter Maria Papoutsakis schon jetzt: "Oxi" ("Nein"). Will heißen: "Nein" zu einer Fortsetzung des rigorosen Sparkurses in Athen. Für die einen mag es der Horror sein, aber eine Rückkehr zur Drachme fände Maria Papoutsakis gar nicht schlimm. "Wir müssen wieder auf eigenen Beinen stehen. Zwei, drei Jahre lang wird es uns schlecht gehen. Aber dann geht es schon wieder aufwärts."

Dass Griechenland in der Eurozone bleiben wird, steht für Regierungschef Tsipras auch bei einem "Nein" nicht zur Disposition. Tsipras ruft mit Nachdruck zu einem "Nein" auf. Mit diesem Votum werde seine Verhandlungsposition gegenüber den unnachgiebigen Gläubigern gestärkt, so Tsipras. "Der Verbleib in der Eurozone wird nicht in Frage gestellt. Ich persönlich übernehme die volle Verantwortung dafür, dass wir nach dem Sonntag eine Lösung mit unseren Gläubigern finden - und zwar schon am kommenden Dienstag", bekräftigt Tsipras zugleich. "Unsere Geschichte haben immer wieder ,Neins' geprägt. Seien Sie versichert, dieses ,Nein' wird diesmal ein ,starkes Nein' sein. Es wird ein Erdbeben in Europa hervorrufen", so Tsipras weiter. Darüber können aber nur die Griechen abstimmen, die sich am Tag des Volksentscheids auch in Griechenland aufhalten. Eine Briefwahl ist nämlich nicht möglich. Dafür bietet eine griechische Fluglinie Sonderflüge am Sonntag ab London und Brüssel an.

Für ein klares "Ja" bei der Abstimmung, die der Staatsrat gestern für verfassungsgemäß erklärte, werben hingegen die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia unter Ex-Premier Antonis Samaras , die Pasok-Sozialisten und die neue "Fluss"-Partei unter dem Starjournalisten Stavros Theodorakis. Für sie bedeutet ein "Ja" im Referendum ein "Ja" zum Euro und zur EU. Immerhin: Zu den "Ja"-Befürwortern zählen auch die Ex-Premiers Kostas Mitsotakis, Kostas Karamanlis , Georgios Papandreou, Athens Bürgermeister Georgios Kaminis, der Athener Erzbischof Heronymos, der griechische Industriellenverband SEV - und ausgerechnet Ex-Finanzminister Georgios Papakonstantinou. Pikant ist dabei: Papakonstantinou, der unter Ex-Regierungschef Georgios Papandreou auf Geheiß von Hellas' ungeliebter Gläubiger-Troika im Frühjahr 2010 den rigorosen Sparkurs einleitete, ist mittlerweile rechtskräftig verurteilt. Der Grund: Er manipulierte eine Liste von ermeintlichen Steuersündern mit Guthaben bei der HSBC-Filiale in Genf. Auf der Liste standen auch Verwandte von ihm. Deren Namen hat er einfach gelöscht.

Fest steht: Der Wahlkampf wird bisher zumeist in Fernsehstudios geführt. Er ist genauso kurz wie heftig. Nach Umfragen zeichnet sich ein Kopf-Kopf-Rennen zwischen den "Ja"-Sagern und "Nein"-Sagern ab. Die Beobachter sind sich derweil einig: Falls eine Mehrheit der Griechen am Sonntag mit "Ja" stimmen würde, wäre dies vor allem eines: der Anfang vom Ende der Regierung Tsipras. In diesem Fall wäre die unmittelbare Ausrufung von vorgezogenen Neuwahlen das wahrscheinlichste Szenario. Nur: Der Urnengang fände zur Unzeit statt - und zwar in den Sommermonaten Juli und August, und damit mitten in der Urlaubssaison und in der wichtigen Tourismussaison. Ein Novum. Was das Referendum nicht zuletzt auch zeigt: Die armen Griechen halten Premier Tsipras bislang die Treue, die Reichen wollen ihn am liebsten zum Teufel jagen.

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Worüber sollen die Griechen im Volksentscheid an diesem Sonntag abstimmen? Auf dem Wahlzettel wird ohne weitere Erläuterung auf das Angebot der Geldgeber nach dem Stand von voriger Woche verwiesen, worüber keine Einigung erzielt wurde. Hier der Text in deutscher Übersetzung: "Muss der Entwurf einer Vereinbarung von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds akzeptiert werden, welcher am 25.06.2015 eingereicht wurde und aus zwei Teilen besteht, die in einem einzigen Vorschlag zusammengefasst sind?" Das erste Dokument heißt auf Englisch "Reforms for the Completion of the Current Program and Beyond" (Reformen, um das laufende Programm abzuschließen und darüber hinaus), das zweite "Preliminary Debt Sustainability Analysis " (vorläufige Schuldentragfähigkeits-Analyse). dpa

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