Grenzkontrollen sollen bleiben

Berlin/München · Die Balkanroute ist dicht. Doch zentrale EU-Länder wittern in der Flüchtlingskrise neue Gefahren. Daher sollen die Grenzen weiter kontrolliert werden. Berlin steht diesmal an der Spitze der Bewegung.

 Polizisten sollen weiterhin an deutschen Grenzen die Einreisenden überprüfen. Foto: Balk/dpa

Polizisten sollen weiterhin an deutschen Grenzen die Einreisenden überprüfen. Foto: Balk/dpa

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Wie schnell sich die Zeiten ändern: Wohl kein deutscher Politiker symbolisiert den Schlingerkurs der Regierung in der Flüchtlingskrise so sehr wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière . Vor knapp vier Wochen gab der CDU-Mann angesichts des abebbenden Flüchtlingsandrangs fast schon Entwarnung: "Wenn die Zahlen so niedrig bleiben, würden wir über den 12. Mai hinaus keine Verlängerung der Grenzkontrollen durchführen." Nun die Kehrtwende: Die Lage bleibt ernst, und Deutschland macht "mit Sorge" Druck für weitere Kontrollen bis Mitte November.

Obwohl der Asylbewerberzustrom nach Abriegelung der Balkanroute nur noch ein Tröpfeln ist, schickt de Maizière heute einen brisanten Brief nach Brüssel. Die EU-Kommission möge doch bitte dem Europäischen Rat "einen Vorschlag zur Aktivierung des Krisenmechanismus des Schengener Grenzkodexes" vorlegen. Mit anderen Worten: Deutschland und seine Mitstreiter Frankreich, Österreich, Belgien, Dänemark und Schweden wollen erreichen, dass mit Blick auf mögliche neue Flüchtlingsbewegungen über Libyen und Italien Grenzkontrollen weiterhin möglich sind. Die Chancen in Brüssel sollen gut stehen, hieß es.

Schon am Freitag hatte de Maizière klargemacht, dass vom wochenlangen Streit mit Österreich wegen der plötzlich rigiden Wiener Grenzpolitik nicht mehr viel übrig ist. Der deutsche Minister und sein Amtskollege Wolfgang Sobotka riefen stattdessen Rom auf, wirksame Maßnahmen zur Eindämmung des Flüchtlingszuzugs übers Mittelmeer zu ergreifen. "Was jetzt ansteht, ist zu allererst eine italienische Aufgabe", sagte de Maizière. Und fügte hinzu: "Der Streit, den es gab, ist erledigt."

Den Hauptgrund für die neue Einigkeit zwischen Berlin und Wien bei der Grenzsicherung umriss am Wochenende der UN-Libyen-Gesandte Martin Kobler. Im ersten Quartal 2016 seien schon 24 000 Menschen aus dem Bürgerkriegsland Libyen nach Europa aufgebrochen. "Wenn man das hochrechnet, kommen dieses Jahr sicher mindestens 100 000 Menschen über das Mittelmeer", sagte der UN-Diplomat. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini befürchtete kürzlich sogar, dass sich mehr als 450 000 Flüchtlinge aus Libyen auf den gefährlichen Seeweg über das Mittelmeer machen könnten.

De Maizière verkauft eine mögliche Verlängerung der Grenzkontrollen durch Brüssel als "klares Zeichen europäischer Handlungsfähigkeit". Eine Position, die in München mit grimmiger Genugtuung geteilt wird. "Das ist ein voller Erfolg für unsere bayerische Position", sagt etwa CSU-Innenminister Joachim Herrmann . Statt einer Einstellung der Grenzkontrollen stünden nun Verhandlungen mit dem Bund über eine Ausweitung an.

Herrmanns Chef, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer , dürfte sich gleich doppelt bestätigt fühlen. Die Flüchtlingskrise hat einerseits zum Absturz der CDU von Kanzlerin Angela Merkel in den Umfragen geführt - und zum Aufschwung der rechtspopulistischen AfD, vor dem der CSU-Chef bereits im Sommer 2015 gewarnt hatte. Andererseits haben sich Merkel und die schwarz-rote Bundesregierung inzwischen in eine Richtung bewegt, die die CSU von Beginn an forderte. Das Asylrecht wurde gleich zweimal verschärft, und die Kanzlerin spricht seit Wochen hauptsächlich von einer Reduzierung der Flüchtlingszahlen. An de utschen Grenzen sind seit Jahresbeginn offenbar mehr als 300 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zurückgewiesen worden - 280 davon allein an der bayerisch-österreichischen Grenze. Dies berichtet die "Passauer Neue Presse " und beruft sich dabei auf die Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion. 160 der abgewiesenen Flüchtlinge stammten aus Afghanistan, 46 aus Syrien. Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD ), forderte einen besseren Schutz minderjähriger Flüchtlinge. "Wir müssen sicherstellen, dass alle umgehend von einem Jugendamt versorgt werden und nicht im rechtlichen Niemandsland landen ".

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