Gewalt im Herzen Istanbuls – Eskalation in der Politik

Istanbul · Istanbul wird immer mehr zum gefährlichen Pflaster. Bei einem Anschlag auf einen Polizeibus starben gestern mindestens elf Menschen. Das Auswärtige Amt in Berlin mahnt zu erhöhter Vorsicht in der türkischen Metropole.

Die Täter hatten den Moment genau abgepasst. Als ein Bus der türkischen Bereitschaftspolizei gestern Morgen im Bezirk Vezneciler, nur wenige hundert Meter vom berühmten Großen Bazar entfernt, während einer Wachablösung eine Reihe geparkter Autos passierte, sprengten sie eines der Fahrzeuge in die Luft. Die Explosion warf den Bus auf den Mittelstreifen der mehrspurigen Durchgangsstraße. Mindestens sieben Polizisten und vier Passanten starben, 36 weitere Menschen wurden verletzt. Die Wucht der Explosion im morgendlichen Berufsverkehr gegen 8.40 Uhr Ortszeit (07.40 Uhr MESZ) ließ in umliegenden Gebäuden und auch in einer nahen Moschee in der zum Stadtteil Beyazit gehörenden Gegend die Scheiben bersten. Das Auswärtige Amt mahnte Bundesbürger in Istanbul zu "erhöhter Vorsicht". Auch Großbritannien verschärfte seine Reisehinweise für die Türkei. Für die türkische Fremdenverkehrsbranche ist der Anschlag ein weiterer schwerer Schlag: Schon bisher blieben in Istanbul , aber auch an den Stränden an der Südküste viele Besucher weg.

Es war bereits der dritte schwere Terroranschlag in Istanbul in diesem Jahr. Erdogan sprach nach einem Besuch bei Verletzten des Anschlages in einem Istanbuler Krankenhaus von der Täterschaft der "Terrororganisation", ein Begriff, der im türkischen Sprachgebrauch für die kurdische Rebellengruppe PKK verwendet wird. Der Kampf gegen den Terror werde weitergehen, sagte Erdogan. Warum er die PKK hinter dem Bombenanschlag sieht, sagte der Präsident nicht. Allerdings sprachen das Ziel der Gewalttat - Mitglieder der Sicherheitskräfte - und die Methode der Autobombe für kurdische Täter.

Die Gewalttat kommt zu einer Phase, in der die Spannungen im Kurdenkonflikt eskalieren. Die PKK greift im Kurdengebiet fast jeden Tag die Sicherheitskräfte an, die türkische Luftwaffe bombardiert Stellungen der PKK in Südostanatolien und im Nordirak. Heftige Gefechte hatten in den vergangenen Monaten ganze Städte im Kurdengebiet in Schutt und Asche gelegt. Mehr als tausend Menschen sind bei der Gewalt seit dem vergangenen Sommer ums Leben gekommen - an eine Wiederaufnahme der damals abgebrochenen Friedensgespräche zwischen dem türkischen Staat und dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan ist im derzeitigen politischen Klima nicht zu denken. Eher ist mit einer weiteren Verschärfung der Lage zu rechnen. Auf der politischen Ebene wirft Erdogan türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten in Deutschland vor, PKK-Helfer zu sein - und lässt mit einer Massenversetzung von fast 4000 Richtern und Staatsanwälten die erwarteten Terror-Prozesse gegen kurdische Abgeordnete vorbereiten. In den Reihen der türkischen Führung wurde nach dem Anschlag erneut Kritik an der EU-Forderung nach einer Liberalisierung der türkischen Terrorgesetze laut. Brüssel verlangt die Änderungen im Rahmen der Gespräche über den Wegfall der Visaschranken für Türken bei Reisen nach Europa. Die Extremisten hätten ihre Opfer in Beyazit zu einer Zeit getötet, da die EU von der Türkei fordere, dem Terror gegenüber "weich" zu werden, sagte ein Regierungsvertreter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort