Gemeinsam gegen Neonazis
Greifswald. Es hat langsam angefangen. Am Samstagvormittag gegen elf Uhr ist auf der Landstraße zwischen Pasewalk und Viereck noch wenig los. Aber dann kommt ein Auto nach dem anderen, Fahrräder, Fußgänger. Um ein Uhr herrscht Gedränge auf dem Fahrradweg neben der Straße
Greifswald. Es hat langsam angefangen. Am Samstagvormittag gegen elf Uhr ist auf der Landstraße zwischen Pasewalk und Viereck noch wenig los. Aber dann kommt ein Auto nach dem anderen, Fahrräder, Fußgänger. Um ein Uhr herrscht Gedränge auf dem Fahrradweg neben der Straße. Und eine halbe Stunde später sind es schließlich 2000 Menschen die auf die Fahrbahn treten und sich die Hände reichen, um eine Menschenkette gegen das "Pressefest" des rechtsextremen NPD-Organs "Deutsche Stimme" zu bilden. 1000 Sympathisanten der rechten Szene haben sich dazu in Viereck zusammengefunden."Auf diesen Tag habe ich 15 Jahre lang gewartet", sagt Günther Hoffmann. Hoffmann arbeitet für den Informationsdienst Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern und beobachtet die rechte Szene seit Mitte der 90er Jahre. "Die Veranstalter haben sich den Ort in der Überzeugung ausgewählt, dass sie hier keine Probleme haben werden."
Pasewalk, ganz im Süden Vorpommerns, gilt als Hochburg der rechten Szene. Dort liegt auch das Dorf Koblentz, wo die NPD bei den Landtagswahlen 2011 über 30 Prozent der Stimmen einfuhr. Im 17 Kilometer entfernten Löcknitz marschierten die Kameraden im Juni bei einem Festumzug mit, in SS- und Wehrmachtsuniformen, und ohne dass jemand dagegen protestierte. NPD-Abgeordnete sitzen im vorpommerschen Kreistag, und rechte Alltagskultur ist allgegenwärtig. Die Zivilgesellschaft, so schien es bislang, hat sich weitgehend zurückgezogen.
Nach der Menschenkette trifft Edith Bohl ihre Freunde auf dem Pasewalker Marktplatz. Ein Stadtfest ist Teil der bunten Proteste gegen die Rechten. "Ich bin überwältigt, ich hätte nie geglaubt, dass wir so viele werden", sagt sie. Die 19-jährige Abiturientin kennt viele, die nicht mitgegangen sind, weil sie sich nicht getraut haben, ihr Gesicht zu zeigen. "Viele hier haben Angst mit ihrer Meinung allein dazustehen", sagt sie, "das wird sich nun vielleicht ändern." Aus der Landeshauptstadt reihten sich Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider und Bildungsminister Mathias Brodkorb (beide SPD) in die Menschenkette ein. Ansonsten machte sich die Schweriner Politprominenz eher rar. Doch unter den Organisatoren will sich am Samstagabend niemand so richtig darüber ärgern, vielleicht weil die große Freude über die Beteiligung in der Region überwiegt.
Benno Plassmann ist Sprecher des Aktionsbündnisses, einer Gruppe von Parteien, Verbänden, Gewerkschaften und Kirchen, das die Proteste organisiert hat. Er sei mehr als zufrieden mit dem Ergebnis, sagt er. Das Aktionsbündnis gründete sich gerade mal vier Wochen vor dem angekündigten rechtsextremen Pressefest. 120 Menschen hätten sich spontan zusammengefunden.
Das gilt offenbar auch für die Politik: 40 Bürgermeister unterzeichneten im Demonstrationen eine Unterstützungserklärung und gründeten am Samstag zum Auftakt der Proteste ein Bündnis, um die "hiesigen neonazistischen Strukturen zurückzudrängen", wie es in einer Erklärung unter anderem heißt. Das Problem mit den Rechtsextremen habe sich natürlich nach der erfolgreichen Menschenkette nicht erledigt, sagt Plassmann vom Aktionsbündnis. Nun soll es darum gehen, das Erreichte in den Alltag hinüberzuretten. epd