Gabriels Dilemma

Eigentlich sind sie alle zerstritten in der Flüchtlingsfrage . Nicht nur CDU und CSU . Nein, auch die SPD . Genau genommen gibt es derzeit sogar drei sozialdemokratische Parteien in Deutschland. Die eine besteht aus den SPD-Ortsvereinen und ihren Mitgliedern, die sich sehr engagieren.

Der gute Sozialdemokrat backt heutzutage Kuchen, sortiert Altkleider oder gibt einen Deutsch-Anfängerkurs. Er findet Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU ) uneingeschränkt akzeptabel, jedenfalls in dieser Sache.

Die zweite SPD besteht aus den Oberbürgermeistern, Länderinnenministern und Ministerpräsidenten. Eben den Verantwortlichen vor Ort, die die Lage organisatorisch bewältigen müssen. Wenn man mit ihnen spricht, sagen fast alle, dass der Zustrom der Flüchtlinge schnell gestoppt, mindestens gebremst werden muss.

Die regionalen Verantwortungsträger hingegen bilden eine Art sozialdemokratischer Parallelgesellschaft, in der Aussagen oft mit Zusätzen wie "unter uns gesagt" oder "mal ganz ehrlich" versehen werden. In ihr wird zum Beispiel gesagt, dass CSU-Chef Horst Seehofer letztlich Recht habe. "Wir müssen zurück nach Dublin." Flüchtlinge sollen also wieder uneingeschränkt von jenen EU-Ländern aufgenommen werden, die sie auf ihrer Flucht zuerst erreichen. In Europa sind das also meist Italien, Griechenland oder Ungarn. Auch die Deutschen müssten sich langsam zur Sicherung der Außengrenzen bekennen, meinte einer. Selbst eine Obergrenze wird in diesem Kreis gelegentlich gefordert, eine jährliche Quote, ganz wie im Denkmodell von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU ). Nur die Zahl, die man hört, etwa 500 000 Flüchtlinge pro Jahr, ist noch nicht ganz unions-kompatibel.

Das Flüchtlingsthema kann die SPD in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bei den Wahlen im März im Extremfall die Regierungsbeteiligung kosten - falls die AfD stark profitiert. Die Parteispitze spürt die sich verändernde Stimmung in der Bevölkerung, den wachsenden Ruf nach Abschottung. Andererseits sind Abschottungsmaßnahmen mit der SPD-Basis und Funktionärsschicht kaum zu machen. "Eine Obergrenze gibt das Asylrecht nicht her", sagt etwa Azis Bozkurt von der Partei-Arbeitsgemeinschaft "Migration und Vielfalt".

Das hemmt die Führung. Sie ist die dritte, die Einerseits-Andererseits-SPD. Beispiel Fraktionschef Thomas Oppermann : Zu den von der Union gewünschten Transitzentren sagte er gestern, zwar brauche man "dringend mehr Ordnung" bei der Einreise von Flüchtlingen, "aber die Einrichtung von Haftanstalten für Tausende von Flüchtlingen an der Grenze lehne ich ab". Oppermann sagt auch gern, dass ihm das "Wir schaffen das" der Kanzlerin "zu wenig" sei. Was er aber mehr erwartet, sagt er nicht.

Parteichef Sigmar Gabriel formulierte am Samstag beim "Perspektivkongress" in Mainz, dass der Zustrom sich nicht schnell bremsen lasse, sondern nur europäisch oder - was die Lage in den Flüchtlingslagern in Nahost angehe - international. Das alles klang wie Merkel und ist SPD-basistauglich.

Auf der anderen Seite aber schrieben Gabriel und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in einem Zeitungs-Gastbeitrag jüngst, dass "wir nicht dauerhaft in jedem Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen und integrieren können". Das klang eher wie Seehofer. Gabriel wiederholte die Aussage sehr prominent auch in Mainz. Nur wie man den Zustrom konkret begrenzen kann und soll, dazu kam von ihm kein Wort. Und eine Obergrenze soll die Million schon gar nicht sein. Als die ZDF-Journalistin Bettina Schausten danach fragte, wurde sie von Gabriel rüde zurückgewiesen: "Nichts von dem, was sie sagen, ist richtig, Frau Schausten, entschuldigen Sie, wenn ich das in aller Klarheit sage." Er schimpfte über "verrückte Fragen", die zudem auch noch "total merkwürdig" waren. Da ist jemand ziemlich nervös.

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