Gabriel knöpft sich Atomkonzerne vor

Berlin · Lange waren Kernkraftwerke für die Konzerne „Gelddruckmaschinen“. Seit dem Atomausstieg ist alles anders. Nun will die Politik verhindern, dass die Betreiber sich bei den Kosten für Abriss und Endlagerung vom Acker machen.

An jeder Baustelle hängt das gelb-schwarze Schild mit der Warnung "Eltern haften für ihre Kinder". Geht es nach Sigmar Gabriel , können sich auch die Bosse der Atomkonzerne den Spruch bald in ihren Vorstandszimmern an die Wand nageln.

Den Wirtschaftsminister und viele Experten treibt nämlich seit langem die Sorge um, dass die Herren von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW - denen einbrechende Gewinne und Aktienkurse schwer zu schaffen machen - sich trickreich aus dem Staub machen könnten, wenn irgendwann die Milliarden-Abrechnung für den Atomausstieg kommt.

Zwar haben die Versorger insgesamt knapp 36 Milliarden Euro an Rücklagen für den Abriss der Kernkraftwerke und den Bau eines Endlagers gebildet. Doch wie sicher ist das Geld auf Dauer? Niemand mag die Hand dafür ins Feuer legen, dass die großen Stromkonzerne die Ökostrom-Revolution und den absehbaren Untergang ihres fossilen Kerngeschäfts überleben. Kurz vor Weihnachten 2014 trat Eon-Chef Johannes Teyssen die Flucht nach vorn an. Deutschlands größter Energieversorger spaltet seine Kraftwerke in die neue Gesellschaft Uniper ab, die 2016 startet. Uniper betreibt dann die Eon-Atommeiler und nimmt von der Eon-Mutter 14,6 Milliarden Euro an Rückstellungen mit. Nur: Nach geltender Rechtslage würde aus Sicht der Bundesregierung die Haftung von Eon bei Uniper nach fünf Jahren auslaufen.

Bereits 2012 kappte der schwedische Staatskonzern Vattenfall einen Beherrschungsvertrag mit seiner deutschen Tochter, damit die schwedischen Steuerzahler nicht für die Risiken aus den längst stillgelegten Meilern Krümmel und Brunsbüttel geradestehen müssen.

Nun will Gabriel auf Nummer sicher gehen. Er hat ein "Rückbau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetz" vorgelegt, das noch im September vom Kabinett beschlossen werden soll. Weil Gabriel den Wählern dieses Namensungetüm nicht zumuten will, hat er sich die griffige Formel "Eltern haften für ihre Kinder" ausgedacht.

In diesem Sinne soll eine eigenständige atomrechtliche Nachhaftung eingeführt werden, die auf die Mutterkonzerne der Gesellschaften abzielt, die die Reaktoren betreiben. Zieht sich ein Konzern durch eine Umstrukturierung aus dem Atomgeschäft zurück, soll die neue Regelung greifen, wenn die Betreibergesellschaft ihre Verpflichtungen beim Atomausstieg nicht selbst erfüllen kann. "Ziel ist es daher, durch eine gesetzliche Neuregelung eine langfristige Konzernhaftung für die nukleare Entsorgung zu gewährleisten und somit die Risiken für die öffentlichen Haushalte zu reduzieren", heißt es in dem Gesetzentwurf.

Den Strombossen schmeckt das nicht. Eine unbegrenzte Haftung passt nicht in ihre Strategie, sich voll auf die Ökostrom-Zukunft zu konzentrieren und das alte, unrentabel gewordene Geschäft mit Öl, Gas und Atom geordnet auslaufen zu lassen. Eon-Chef Teyssen polterte kürzlich, Gabriels Idee der "Ewigkeitshaftung" sei eine Zumutung. Der Topmanager dreht den Spieß einfach um. Wer habe denn die Meiler gewollt? "In der Geschichte der Bundesrepublik ist kein Atomkraftwerk gebaut worden, das nicht vom Staat bestellt wurde." Eon drohte gestern prompt eine Klage gegen Gabriels Gesetz an. Bereits gegen den 2011 beschlossenen Atomausstieg wehren sich die Konzerne mit mehreren Klagen, Vattenfall versucht parallel vor einem Schiedsgericht in den USA, mehrere Milliarden Schadenersatz zu bekommen. In Kürze will Gabriel eine Kommission einsetzen, die prüfen soll, ob eine Atom-Stiftung ein guter Weg ist, um die Aufgabe von Abriss und Endlagerung finanziell zu steuern. Gerade ist ein Wirtschaftsprüfer dabei, die Bilanzen der vier Atomkonzerne zu durchleuchten, ob die Rückstellungen sicher sind.

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