Furcht um Demokratie in Kaczynskis Polen
Berlin/Warschau · Am Wochenende haben in Polen Zehntausende Bürger ihrem Ärger über das Gebaren der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit Luft gemacht. Die Bundesregierung ist besorgt über die Entwicklung im Nachbarland.
Vor einer Woche war es vor allem Warschau. Nun verwandelten sich auch die Zentren von Krakau, Breslau (Wroclaw), Danzig (Gdansk), Zielona Gora (Grünberg), Stettin, Lublin, Zamosc, Bielsko-Biala in Protestzonen. Zehntausende Menschen gingen in Polen auf die Straße - wieder einmal. Das Land ist aufgebracht. "Wir haben unsere Freiheiten, und wir werden kämpfen, um sie zu verteidigen", sagte Mariusz Kijowski, der als Kopf des neuen Bündnisses KOD (Komitee zum Schutz der Demokratie ) bereits zum zweiten Teil die Massenproteste gegen die nationale Regierung initiiert hat. Die Demonstranten fürchten die Aushöhlung der Demokratie .
Lange hat vor allem Polens Jugend sich vom gemäßigten Antlitz der erzkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) blenden lassen, verkörpert durch den jungen wie zunächst unbekannten Präsidenten Andrzej Duda und der stets fleißig daherkommenden Ministerpräsidentin Beata Szydlo. Nun erkennen viele das wahre Gesicht der PiS und sehen an der Spitze des Staates Marionetten, die der stets zürnende Parteichef Jaroslaw Kaczynski voller Zielstrebigkeit und Verbissenheit - nicht einmal mehr aus dem Hintergrund - steuert.
Und der Mann hat es eilig. Schließlich hatte er bereits schon einmal eine Chance an sich vorbeiziehen lassen, von 2005 bis 2007 war das. Er war Regierungschef, sein Zwillingsbruder Lech der Präsident. Seit Lech bei einem Flugzeugabsturz bei Smolensk in Russland ums Leben gekommen war, trägt Jaroslaw nur noch schwarz und hat sich und dem Bruder geschworen, die Macht zurückzuholen. Der 66-Jährige ist mittlerweile nur ein einfacher Abgeordneter - und doch so viel mehr. Nach dem Wahlsieg seiner Partei vor bald zwei Monaten erklärte er stolz und mit dem "Blick ins ewige Reich": "Ich melde: Aufgabe erfüllt."
Die PiS war da geradezu triumphal mit absoluter Mehrheit ins Parlament (Sejm) eingezogen. Zu verdanken hatte sie es Beata Szydlo, der braven Frau vom Lande, und nicht zuletzt auch der seit acht Jahren regierenden Bürgerplattform PO, die die Realität, vor allem im weniger entwickelten Osten des Landes, gern ausblendete und so in den Augen vieler Wähler die Haftung verlor. Nun geht Kaczynski gründlicher an den Staatsumbau heran als je zuvor. Verhehlt hatte er dieses Ziel nie, hatte offen über sein Vorbild gesprochen: Jozef Pilsudski, den Marschall, der das Land in der Zwischenkriegszeit autoritär regierte. Und neuerdings auch über den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der ebenfalls wie Kaczynski auf Nationalismus setzt. Polen, so das Vorhaben des starken Mannes, solle wieder zu Polen werden. Einem national starken, von der katholischen Kirche getragenen traditionell-konservativen Land. Weg mit all den "Polen der schlimmsten Sorte", denen der Verrat "wie in den Genen" stecke, wie der PiS-Chef kürzlich, nach den ersten Protesten gegen die Regierung bemerkte. Er, der einstige Widerstandskämpfer gegen den Kommunismus und Solidarnosc-Aktivist, will die Macht nicht mehr aus der Hand geben - und tut in diesen Wochen einiges dafür, die erneute Abwahl der PiS, wie vor acht Jahren, zu verhindern.
Sein erstes Ziel war das Verfassungsgericht, dessen Arbeit seit Wochen torpediert wird, weil Präsident Duda die Vereidigung von drei Richtern - noch zu Zeiten der Vorgängerregierung gewählt - verweigert. Stattdessen hat die PiS fünf eigene Richter eingesetzt. Im Militär stehen personelle Änderungen an, immer häufiger ist von "Säuberungen" die Rede. Die Chefs der Geheimdienste, der Polizei und der Anti-Korruptionsbehörde wurden bereits ausgetaucht. Auch auf die Medien wird Druck ausgeübt. Zudem wurde in der vergangenen Woche der Leiter eines neuen Nato-Kompetenzzentrums für Spionageabwehr ausgewechselt. Der Vorwurf: Spionage für die USA. Das Beamtengesetz soll ebenfalls geändert werden, damit könnten auch Parteimitglieder wichtige Beamtenposten besetzen. Bislang ist das untersagt. Selbst Schuldirektoren könnten so von PiS-Mitgliedern ersetzt werden. Beobachter sehen darin eine Neuordnung des Bildungswesens. Genau darum aber geht es Kaczynski: ein neues Polen, in jedem Bereich.
Meinung:
Umbau nach Vorbild Ungarns
Von SZ-MitarbeiterinInna Hartwich
Polens neue Regierung ist keine zwei Monate im Amt und zeigt voller Härte, was sie kann: rasch die Demokratie im eigenen Land abbauen. Das Verfassungsgericht ist lahmgelegt, wichtige Gremien werden mit eigenen Leuten besetzt, Medien unter Druck gesetzt, Unternehmen gegängelt, die Kultur soll "repolonisiert" werden, Minister wettern wieder gegen Europa. Das Ziel des Strippenziehers Jaroslaw Kaczynski ist eine starke Regierung, ein starker Präsident, ein patriotisches, katholisches Land ohne Liberalität. Ein Polen nach Ungarns Vorbild soll her. Polen aber ist nicht Ungarn. Polen ist hochpolitisiert, trotz des staatlichen Drucks auf die Medien funktioniert eine kritische Presse. Die erkämpften Rechte in Europa, wo sie immer schon hinstrebten, wollen viele Polen nicht so schnell aufgeben. Die PiS stößt derzeit auf den Widerstand des Volkes. Sie könnte mit ihrem geplanten Staatsumbau an genau diesem Widerstand scheitern. Wie bereits 2007.
Zum Thema:
HintergrundDie Bundesregierung zeigt sich aufgrund der autoritären Tendenzen in Polen "höchst alarmiert". So manches Kabinettsmitglied spricht von "schlimmsten Befürchtungen" und "großer Sorge". Einige deutsch-polnische Projekte sollen bereits auf Eis liegen. Die polnische Regierung beantwortet die von Berlin gesendeten Anfragen nicht. Ebenfalls ist nicht sicher, ob eine geplante gemeinsame Kabinettssitzung zur Feier des 25. Jahrestages des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrages im kommenden Jahr zustande kommt.Dennoch warnen Bundesregierung und Bundestag davor, den autoritären Kurs in Warschau mit scharfen Worten zu geißeln. Vielmehr ist von einer "Umarmungsstrategie" die Rede. inn