Fünf vor zwölf für den Brexit

London · Verbissen versuchen die Wahlkämpfer in London, die Briten für ein Votum pro oder contra Brexit zu gewinnen. Auch in Brüssel wächst vor dem EU-Referendum die Nervosität. Dabei zeichnet sich jetzt schon ab: Am Ende wird es nur Verlierer geben.

 Der Tag des Referendums über einen Austritt des Vereinigten Königreichs rückt näher – in London ist es quasi fünf vor zwölf wie unsere Montage nahe legt. Fotos: Fotolia/Montage: Lorenz

Der Tag des Referendums über einen Austritt des Vereinigten Königreichs rückt näher – in London ist es quasi fünf vor zwölf wie unsere Montage nahe legt. Fotos: Fotolia/Montage: Lorenz

Drinbleiben oder Rausgehen aus der EU, das ist die Frage, die britische Wähler beim Referendum am 23. Juni beantworten müssen. Umfragen zufolge wird es eine denkbar knappe Entscheidung. Nichts vermochte in den vergangenen Wochen das Pendel eindeutig in die eine oder in die andere Richtung bewegen.

Dabei bombardieren beide Lager die Wähler geradezu verzweifelt mit "Fakten". Premierminister David Cameron , der für einen Verbleib des Königreichs in der Union wirbt, warnt vor allem vor den wirtschaftlichen Folgen eines Brexit. Wer für den Austritt votiere, stimme "potenziell für eine Rezession", so Cameron. Jeder private Haushalt müsse jährlich mit einem Verlust von 4300 Pfund rechnen, rechnete das Finanzministerium aus.

Panikmache, sagen Camerons Gegner, unter anderem Londons ehemaliger Bürgermeister Boris Johnson . Gebetsmühlenhaft wiederholt er, wie viel Großbritannien an Mitgliedsbeiträgen jährlich, monatlich, täglich an die EU zahlt - und was man mit diesem Geld alles machen könnte. Zugleich fordert er, Großbritannien solle seine Grenzen wieder kontrollieren - und meint damit: nicht mehr ungehindert EU-Bürger ins Land lassen.

Beide Seiten stützen sich auf Experten. Die rufen für den Fall eines Brexit schon mal das Ende des Finanzplatzes Londoner City aus. Ein anderes Mal sind sie der Meinung, dass die Bankgeschäfte ohne lästige EU-Regularien noch viel besser laufen könnten.

Je näher die Abstimmung rückt, desto schriller werden die Töne. Boris Johnson ist sich nicht zu schade, die Idee der EU mit Plänen Hitlers für ein Europa unter der Führung Nazi-Deutschlands zu vergleichen. Cameron warnt, der Chef der Terrormiliz IS würde sich über einen Austritt Großbritanniens aus der EU freuen. Erfolgreich scheinen damit beide nicht zu sein. Auch in Brüssel steigt die Nervosität. Überzeugte Europäer fürchten bei einem Brexit nicht nur einen Verlust an wirtschaftlicher und diplomatischer Stärke, sondern auch einen möglichen Dominoeffekt. "Ich kann nicht ausschließen, dass der britische Austritt Lust auf mehr machen würde in anderen Ländern", räumte jüngst EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein. Hinter verschlossenen Türen wird deswegen schon jetzt diskutiert, wie im Fall der Fälle am effektivsten verhindert werden könnte, dass auch in anderen EU-Staaten Austrittsbefürworter Oberwasser gewinnen. Als eine Möglichkeit gilt dabei, am Vereinigten Königreich ein Art negatives Exempel zu statuieren. Die Briten wären im Fall des Austritts darauf angewiesen, den Zugang zum europäischen Binnenmarkt und die künftigen Beziehungen zur EU zu verhandeln. Dabei könnte die EU die Kosten des Austritts für Großbritannien ungemütlich hoch treiben. Schwierigkeiten drohen allerdings auch dann, wenn die Briten gegen den EU-Austritt stimmen. Um das Königreich in der EU zu halten, haben die anderen Staaten ihm Sonderrechte in Aussicht gestellt. So soll die britische Regierung künftig beispielsweise Sozialleistungen für zugewanderte EU-Bürger einschränken können. Die bange Frage lautet: Was, wenn andere Länder versuchen, nationale Interessen über Austrittsdrohungen durchzudrücken?

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