Frührente vor Gericht

Berlin · Die Sonderregelungen im Gesetz zur abschlagsfreien Rente sind nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar, so die Meinung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Rollt auf die Sozialgerichte eine Klagewelle zu?

Das Gesetz zur abschlagsfreien Rente mit 63 ist seit wenigen Tagen in Kraft. Und prompt werden verfassungsrechtliche Bedenken laut. Nach Meinung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages sind die darin verankerten Ausnahmen nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar. Die Sonderregelungen waren auf den letzten Drücker ins Gesetz gekommen. Es sieht im Grundsatz vor, dass eine Rente ab 63 abschlagsfrei bezogen werden kann, wenn dafür 45 Beitragsjahre nachgewiesen werden. Eingeschlossen sind auch Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I. Um eine befürchtete Frühverrentungswelle schon ab 61 zu vermeiden, setzten CDU und CSU durch, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit in den letzten beiden Jahren vor dem jeweiligen Rentenbeginn unberücksichtigt bleiben. Schließlich stehen älteren Arbeitnehmern bis zu zwei Jahre Arbeitslosengeld I am Stück zu, die dann nahtlos in die Rente mit 63 hätten münden können. Zwei Ausnahmen von dieser so genannten rollierenden Stichtagsregelung gibt es: eine "Insolvenz" oder die "vollständige Geschäftsaufgabe" des Arbeitgebers - dann zählt diese Phase bei den 45 Beitragsjahren mit. Nach Ansicht der Rechtsexperten des Bundestages sind damit neue Ungerechtigkeiten programmiert. Sie sehen nun alle Personen mit einer betriebsbedingten Kündigung im Nachteil. Zwar erkennen sie an, dass der Gesetzgeber mit dem Ausschluss solcher Fälle einen möglichen Missbrauch verhindern wollte, hegen aber "schwerwiegende Bedenken an der Angemessenheit der Ungleichbehandlung". Es sei "nicht nachvollziehbar, dass diejenigen, die auf Grund einer betriebsbedingten Kündigung ausscheiden und infolgedessen tatsächlich unfreiwillig arbeitslos werden, weniger schutzwürdig sein sollen", heißt es in dem Gutachten, das der rentenpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth , veranlasst hatte.

Bei der Deutschen Rentenversicherung ist man ebenfalls skeptisch. Das Gesetz erfasse nicht alle Möglichkeiten einer unverschuldeten Arbeitslosigkeit, meinte ihre Rentenrechtsexpertin Sylvia Dünn, gegenüber der Saarbrücker Zeitung. "Da wird es wohl noch zu Gerichtsverfahren kommen." So sehen das auch die Juristen des Bundestages. Eine abschließende Prüfung der Verfassungsmäßigkeit bleibe dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, heißt es in ihrer Expertise. Der Grünen-Politiker Kurth fühlt sich damit in seiner Kritik an der schwarz-roten Regierung bestätigt. Der Einigungsdruck sei wohl so groß gewesen, dass die Koalitionsspitzen keinen Wert auf Feinheiten im Verfassungsrecht gelegt hätten, sagte Kurth unserer Zeitung. Dem widerspricht das Bundesarbeitsministerium vehement. "Selbstverständlich" sei das Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft worden. Im konkreten Fall könne man nicht von einer willkürlichen Ungleichbehandlung sprechen, weil die Regelung im Hinblick auf betriebsbedingte Kündigungen durch die Missbrauchgefahr begründet sei, so die Argumentation.

Grünen-Politiker Kurth empfahl indes allen, die sich wegen der Rente mit 63 benachteiligt fühlen, vor die Sozialgerichte zu ziehen. Die rollierende Stichtagsregelung sei schlicht unnötig.

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