Frankreichs Linke punktet wieder

Paris. "Hat gewählt!" Als François Hollande gestern seinen Stimmzettel in die gläserne Urne gleiten ließ, kommentiert vom Ruf des Wahlhelfers und wie immer umringt von Kameraleuten und Fotografen, strahlte er dieselbe gelassene Zuversicht aus wie bei den letzten Wahlen, bei denen es ebenfalls um seine politische Zukunft ging

Paris. "Hat gewählt!" Als François Hollande gestern seinen Stimmzettel in die gläserne Urne gleiten ließ, kommentiert vom Ruf des Wahlhelfers und wie immer umringt von Kameraleuten und Fotografen, strahlte er dieselbe gelassene Zuversicht aus wie bei den letzten Wahlen, bei denen es ebenfalls um seine politische Zukunft ging. Nachdem ihn die Franzosen Anfang Mai zu ihrem neuen Präsidenten gemacht hatten, brauchte der 57-Jährige nun noch eine linke, wenn möglich sozialistische Mehrheit in der Nationalversammlung, der ersten und mächtigeren Kammer des französischen Parlamentes, um seine Politik problemlos umsetzen zu können.Hollandes Zuversicht war angebracht: Nicht nur siegte seine Sozialistische Partei, sie erhielt ersten Ergebnissen zufolge sogar knapp die erhoffte absolute Mehrheit, also mehr als 289 der insgesamt 577 Sitze. Das ermöglicht ihr ein Regieren ohne Bündnisse mit Grünen, die auf 20 Sitze kommen, und radikalen Linken, die zehn Sitzen erhalten, und bedeutet einen historischen Linksruck in Frankreich: Die Sozialisten stellen nicht nur bereits die Staatsspitze, sie kontrollieren auch schon den Senat als zweite Parlamentskammer, die Mehrzahl der Regionen, Départements und großen Städte. Über so viel Macht verfügten bislang weder sie, noch ihre Gegenspieler von der bürgerlich-konservativen UMP, die vergeblich vor einem "Machtmonopol" der Gegner warnten. Wermutstropfen war die historisch geringe Wahlbeteiligung, mit rund 56 Prozent noch geringer als bei der ersten Runde vor einer Woche.

Dass Hollandes Lebensgefährtin Valérie Trierweiler im Internet-Kurznachrichtendienst Twitter ausgerechnet den Gegenspieler von Ségolène Royal, Kandidatin im westfranzösischen La Rochelle und Hollandes Ex-Gefährtin, angefeuert hatte, den Partei-Abweichler Olivier Falorni, hatte wohl keine konkreten Auswirkungen. Zwar unterlag Royal mit nur rund 43 Prozent, eine bittere Enttäuschung für die charismatische Ex-Präsidentschaftskandidatin - doch wohl ohne Trierweilers Zutun, da Falorni zahlreiche Stimmen der Konservativen erhalten hatte. Royal beklagte den "politischen Verrat" Falornis und ihrer politischen Gegner. Auch François Bayrou, Präsidentschaftskandidat und Vorsitzender der Zentrumspartei Modem, verlor sein Abgeordnetenmandat.

Just am gestrigen Wahltag veröffentlichten französische Medien Auszüge aus einem Dokument namens "Pakt für Wachstum in Europa", das Hollande an Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere europäische Staats- und Regierungschefs geschickt habe. Demnach schlägt er im Vorfeld des EU-Gipfels Ende Juni eine Serie von Wachstumsmaßnahmen "mit sofortiger Wirkung" in Höhe von 120 Milliarden Euro vor, eine Finanztransaktionssteuer noch in diesem Jahr und Maßnahmen für Arbeit. Finanziert werden soll dies durch ungenutzte EU-Hilfsfonds und eine Kapitalerhöhung der Europäischen Investitionsbank. Offenbar versucht Hollande sich als selbstbewusster Gegenspieler gegen die als gestrenge "Sparkanzlerin" geltende Merkel zu profilieren, auch in Abgrenzung von seinem Vorgänger Nicolas Sarkozy. Ihrer Führungsfigur beraubt und durch die letzte Wahlniederlage geschwächt, musste dessen konservative UMP einen historischen Wahlverlust hinnehmen mit dem Verlust von 100 Sitzen.

Nachdem sich die Partei intern über die Strategie vis-à-vis der Rechtspopulistin Marine Le Pen zerstritten hatte, steht ihr eine ideologische Neuorientierung bevor: Die von einzelnen Mitgliedern betriebene Annäherung an Le Pens Front National scheint mit anderen Parteiflügeln kaum vereinbar. Mit zwei Abgeordneten zieht der Front National erstmals seit 25 Jahren wieder in die Nationalversammlung ein - darunter ist auch Le Pens Nichte Marion Maréchal-Le Pen, mit 22 Jahren die jüngste Abgeordnete. Parteichefin Le Pen selbst lag bei der Parlamentswahl hauchdünn hinter ihrem sozialistischen Rivalen.

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