Foto-Schätze aus der saarländischen Arbeitswelt

Saarbrücken · Thomas Langhammer (60) stammt aus einer Gersweiler Maschinenfabrikanten-Dynastie. Er hat das Firmenarchiv geerbt. Damit lassen sich beispielhaft hundert Jahre mittelständischer Arbeiter- und Industriekultur an der Saar rekonstruieren. Jetzt werden in der Saarbrücker Arbeitskammer erstmals Fotografien gezeigt.

 In Gersweiler hergestellt und auch in der eigenen Firma eingesetzt: ein damals innovativer Elektroflaschenzug (undatiertes Foto, wahrscheinlich aus den 20er Jahren). Fotos: Langhammer (2)

In Gersweiler hergestellt und auch in der eigenen Firma eingesetzt: ein damals innovativer Elektroflaschenzug (undatiertes Foto, wahrscheinlich aus den 20er Jahren). Fotos: Langhammer (2)

Er bezeichnet sich selbst als schwarzes Schaf der Familie. Bereits mit 14 stand fest, dass Thomas Langhammer keineswegs Maschinenbauer, sondern Künstler werden wollte: Nix wie weg aus dem Ölgestank, den er heute noch riecht, wenn er sich die Abzüge der historischen Fotografien anschaut, die jetzt in der Saarbrücker Arbeitskammer hängen. Man sieht Rohrschlangen, Radachsen, Seiltrommeln und monströse Kranhebe-Vorrichtungen, neben denen Thomas Langhammers Vater Oskar wie eine Stecknadel aussieht. Eine mit feinem Zwirn und Krawatte freilich, denn die Langhammers, die waren wer. Die "ALG - Adolf Langhammer Gersweiler - Maschinenfabrik" belieferte die Röchlingschen Eisenwerke und die Wilhemshavener Marinewerft und hatte ihre eigene Niederlassung in Paris. Der finale Absturz vollzog sich Ende der 70er Jahre mit der Stahlkrise. Doch bereits 1970 war der Franc fast um die Hälfte eingebrochen, unter der Umrechnungstabelle, die Langhammer im Firmenarchiv fand, stand: "Das war's dann". Von wegen. Erst 2009 rang sich Oskar Langhammer dazu durch, die GmbH aufzulösen. Dazwischen: hundert Jahre pralle Saargeschichte - und unerforschte Mittelstands-Industriekultur.

Thomas Langhammer, 1955 geborener Urenkel des Firmengründers, der selbst noch als Kind auf dem Firmengelände wohnte, begegnet in der Ausstellung der technischen Ingenieurwelt seiner Vorfahren, vor allem aber der Alltagswelt ihrer Mitarbeiter: "Ich konnte damals nicht verstehen, dass man dort freiwillig arbeitete", sagt er. Adolf Langhammer hatte seine Zulieferer-Fabrik 1909 auf die Ruinen des bereits niedergegangenen Industriezweigs der Glasindustrie gesetzt. Der Betrieb, der irgendwann bis zu 50 Prozent seiner Kunden in Frankreich hatte, florierte analog zur Schwerindustrie und starb mit ihr. 1979 retteten sich zwei Enkel des Gründers - einer davon war Langhammers Vater Oskar - mit rund 25 Angestellten in das Ingenieurbüro Langhammer. Man blieb in Gersweiler, in Miete. Die Aufträge schrumpften. "Irgendwann saß mein Vater allein im Keller", berichtet Thomas Langhammer. Doch der Vater hütete einen Schatz, das Firmenarchiv: mehr als 3000 Fotografien , die Korrespondenz, Personallisten, Konstruktionszeichnungen - von über 90 000 Aufträgen aus hundert Jahren, die er erst spät im Alter auf 2000 ausdünnte. Hinzu kamen Tagebücher und persönliche Briefe aller Firmeninhaber, die das oft sehr enge Verhältnis zu den Mitarbeitern spiegeln. Davon erfuhr Thomas Langhammer vor zehn Jahren, als er, der verlorene Sohn und Freiberufler, nach Jahrzehnten zurückfand zu seinem Vater. "Als er selbst improvisieren musste, hatte er mehr Verständnis für mein Leben", sagt er. 2012 starb der Vater.

Von damals bis heute hat Langhammer Tausende Stunden damit zugebracht, das Archiv zu sichten und zu ordnen, hat sich Rat geholt vom Saarbrüc ker Soziologen Josef Reindl, der jetzt auch die Ausstellungstexte verfasste. Mit Hilfe des Materials lasse sich exemplarisch die bisher kaum erforschte Unternehmens- und Arbeitswelt des saarländischen industriellen Mittelstandes rekonstruieren, so Reindl. Seit mehr als zwei Jahren "tingeln" die beiden, um ein eigenes Buchprojekt auf die Beine zu stellen, das, so ihre erste Kalkulation, rund 50 000 Euro kosten würde. Langhammer berichtet von Vorbehalten. Er hörte, Reindl und er handelten aus Eigennutz, wollten sich einen Job zimmern. Oder aber es hieß, man finanziere keine Firmenchronik. Doch die beiden wollen eine erste typisierende Darstellung einer Industriekultur liefern, die andere Spezifika entwickelte als die Großbetriebe.

Die Öffentlichkeit sucht Langhammer nicht nur, um Geld aufzutreiben. Er möchte auch ehemalige Mitarbeiter erreichen, um Zeitzeugen-Interviews zu führen. Einige seien bereits im Kasten, sagt er. Und so scheint sich denn die Goethe-Sentenz für ihn zu bewahrheiten: "Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen." Geerbt hat er nach eigener Einschätzung das Geschichtsbewusstsein der Familie. Die Saarhistorie habe seit Urgroßvaters Tagen ihre eigene breite Ecke in der Bibliothek eingenommen. Familienstolz spüre er nicht, sagt Langhammer. Doch der Erfindergeist imponiere ihm: "Heute könnte ich wohl mehr mit all dem anfangen." Es klingt nicht nach Bedauern, sondern nach Einsicht. Er hat was nachzuholen, das nennt man denn wohl Ironie des Schicksals.

 Erbe eines riesigen Archivs: Thomas Langhammer in der Saarbrücker Ausstellung „Im Schatten der Montanriesen“. Fotos: Dietze

Erbe eines riesigen Archivs: Thomas Langhammer in der Saarbrücker Ausstellung „Im Schatten der Montanriesen“. Fotos: Dietze

 Das Bürogebäude an der Gersweiler Hauptstraße in den 30er Jahren. Es ist heute noch in Teilen erhalten.

Das Bürogebäude an der Gersweiler Hauptstraße in den 30er Jahren. Es ist heute noch in Teilen erhalten.

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HintergrundIm Schatten der Montanriesen. Das Bild der Arbeit in der kleinen Industrie - mit Unterstützung des Kultusministeriums, der Arbeitskammer und von Saar-Toto. Fotokünstler Sven Erik Klein wirkte bei der Realisierung mit. Bis 27. November: Haus der Beratung der Arbeitskammer, Trierer Straße 22. Mo bis Do acht bis 16 Uhr, Fr bis 15 Uhr. Kontakt/Infos unter www. imschattendermontanriesen.de, Tel. (06 81) 6 85 24 18 ce

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