Flüchtlingsheime im Ausnahmezustand

Europa will Flüchtlinge umverteilen – doch wer nimmt wie viele auf? Der Streit darüber dauert seit Monaten an. Derweil geraten die Bundesländer zunehmend in Bedrängnis bei der Unterbringung der Asylsuchenden. In Bitburg werden jetzt zwei Zelte mit 250 Betten aufgestellt.

 In Auffanglagern Deutschlands leben Flüchtlinge dicht gedrängt. Und die Länder schaffen es nur schwer, den Ansturm neuer Asylsuchender zu bewältigen. In Bitburg wurden gestern zwei Großraumzelte errichtet (r.), um die Situation übergangsweise zu entschärfen. Fotos: dpa; Moeris

In Auffanglagern Deutschlands leben Flüchtlinge dicht gedrängt. Und die Länder schaffen es nur schwer, den Ansturm neuer Asylsuchender zu bewältigen. In Bitburg wurden gestern zwei Großraumzelte errichtet (r.), um die Situation übergangsweise zu entschärfen. Fotos: dpa; Moeris

Es sind schockierende Szenen, die sich derzeit in der General-von-Seidel-Kaserne im Trierer Stadtteil Euren abspielen. Kinder, Frauen und Männer leben dicht gedrängt im überfüllten ehemaligen Militär-Komplex in Rheinland-Pfalz. Die Stockbetten reihen sich aneinander. Auch in der einstigen Turnhalle. Oder draußen in Großraumzelten. Die Notunterkunft ist voll mit Menschen, die aus ihrer Heimat vor Krieg und Elend geflüchtet sind, in der Hoffnung, in Deutschland ein besseres und sichereres Leben zu finden. Ob sie jemals Asyl bekommen, wissen sie nicht.

Wie viele Flüchtlinge allein in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Euren und auch Trier-Nord leben, kann eigentlich niemand genau sagen. "Es sind etwa 2500", schätzt Ulrich Radmer, Referatsleiter Soziales bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD). Die personelle Erfassung der Neuankömmlinge sei an manchen Tagen einfach nicht zu bewältigen. "Bei der Masse an Leuten, die wir hier haben, müssen wir sehr zufrieden sein, dass noch nichts Schlimmeres passiert ist", ergänzt Radmers Stellvertreter, Bernd Hermesdorf. Er sei von der Gelassenheit "beeindruckt", mit der die Asylbewerber die beengten Zustände in der Einrichtung hinnehmen. Insgesamt stellt sich Rheinland-Pfalz auf insgesamt 20 000 Flüchtlinge bis Ende des Jahres ein.

Auch im Saarland kommen mehr und mehr Flüchtlinge an. Allein im Juni waren es 600. In der ersten Jahreshälfte sogar 2867, heißt es von Seiten des Innenministeriums. Wie in Rheinland-Pfalz und dem Rest Deutschlands stammen sie zum Großteil aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Ein Ende der blutigen Machtkämpfe von Syriens Machthaber Baschar al-Assad, der Terrororganisation Islamischer Staat und vielen weiteren Kriegstreibern in der Region ist nicht Sicht. Und so wird auch der Flüchtlingsstrom nicht abreißen. Im Jahr 2015 rechnet die Landesregierung mit insgesamt rund 6000 Flüchtlingen.

Während die Bundesländer wegen der Flut an Flüchtlingen zunehmend unter Druck geraten, streiten die Staaten Europas weiter über eine gerechte Verteilung. Auf feste Quoten einigten sich die 28 EU-Innenminister in Luxemburg auch gestern nicht. Es geht um 60 000 Flüchtlinge, die derzeit in Lagern in Griechenland, Italien und nahe der syrischen Grenze festsitzen. Die Bundesregierung sei bereit, 9000 Flüchtlinge zu übernehmen, die sich derzeit in den überlasteten Hauptankunftsländern Italien und Griechenland befinden, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU ). Bei der Aufnahme von Menschen aus Flüchtlingslagern in Konfliktgebieten werde sich Deutschland mit 3100 Menschen beteiligen. "Allerdings ist das geknüpft daran, dass auch andere Staaten das tun." Für das Saarland und Rheinland-Pfalz bedeutet das: Sie werden sich auf mehr Flüchtlinge als bisher einstellen müssen.

Innenminister Klaus Bouillon (CDU ) setzt dabei auf ein "Wohnraumprogramm", das schon jetzt auf vollen Touren laufe. Insgesamt würden dabei Anträge für 10 Millionen Euro bewilligt, mit denen in den Kommunen bis zu 1600 neue Flüchtlingswohnungen geschaffen werden können. Zwei Drittel davon seien bereits begonnen oder fertiggestellt. Gerade Syrer haben laut Arbeitsagentur gute Chancen, bleiben zu können und in den Jobcentern betreut zu werden. "Wir sind das Land, das bei der Betreuung der Flüchtlinge sehr gut aufgestellt ist", meint auch Sozialministerin Monika Bachmann (CDU ).

Auch Rheinland-Pfalz versucht, die überfüllten Auffanglager in Trier schnellstmöglich zu entlasten. Zwei weitere Heime sollen noch in diesem Jahr öffnen - in Hermeskeil, im Kreis Trier-Saarburg, und in Kusel in der Westpfalz. Insgesamt könne das Land dann rund 4000 Menschen neu aufnehmen. In Bitburg wurden gestern zwei Großzelte aufgebaut. 250 Menschen kommen hier für zwei Monate unter.

Meinung:

Unwürdiges Geschacher

Von SZ-KorrespondentChristopher Ziedler

Fast zwei Millionen Flüchtlinge hat die Türkei aufgenommen. In der gesamten EU haben vergangenes Jahr 122 000 Syrer Asyl beantragt. Und nun streiten die EU-Staaten wie die Kesselflicker darüber, wie weitere 20 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Afrika und Nahost nach Europa umgesiedelt und 40 000 in Italien und Griechenland angelandete Migranten diesen mit der Zuwanderungswelle überforderten Staaten abgenommen werden können. Das unwürdige Geschacher hat einen einfachen Grund: Der EU-Gipfel vor zwei Wochen hat den sinnvollen Vorschlag einer verpflichtenden Quotenlösung begraben. Stattdessen wurde eine freiwillige Verteilung vereinbart. Jetzt wird um ein paar Flüchtlinge mehr oder weniger gestritten. Selbst wenn die vereinbarte Marke im zweiten Anlauf am 20. Juli noch erreicht würde - der Ruf ist längst ruiniert.

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