„Flächendeckend hat sich nichts verbessert“

Kristina Schröder will heute Bilanz über das seit rund anderthalb Jahren gültige Kinderschutzgesetz ziehen. Mit dem wollte die Familienministerin Kinder wirksamer vor Verwahrlosung, Gewalt und sexuellem Missbrauch schützen. Wenig überzeugt davon ist Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers. Warum, erklärt er SZ-Korrespondent Stefan Vetter.

Herr Hilgers, hat das Gesetz die Lage von Kindern verbessert?

Hilgers: Das Gesetz hat sicher dazu geführt, dass in einzelnen Kommunen Netzwerke für frühe Hilfen entstanden sind und Jugendhilfe, Bildungseinrichtungen sowie Ärzte dort gut zusammen arbeiten. Aber flächendeckend hat sich leider nichts verbessert.

Woran liegt das?

Hilgers: Das größte Manko dieses Gesetzes besteht darin, dass es sehr schlecht umgesetzt wird. Viele Beschäftigte in der Jugendhilfe kennen das Gesetz überhaupt nicht. Das Familienministerium finanziert keine entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen, und Werbung betreibt es auch nicht. Damit bleibt das Gesetz 500 Tage nach seinem Inkrafttreten weit hinter dem Anspruch von Familienministerin Schröder zurück.

Ist die Ministerin wirklich der richtige Adressat für diesen Vorwurf? Die Umsetzung muss doch vor Ort geschehen.

Hilgers: Der Vorwurf geht sicher an die gesamte staatliche Gemeinschaft, also Bund, Länder und Gemeinden, die dafür Verantwortung tragen. Aber noch einmal: Das Familienministerium hat keinerlei Anstrengungen unternommen, die Werbetrommel für das Gesetz zu rühren. Wenn Lebensmittelfirmen nur ein geschmacklich leicht verändertes Produkt auf den Markt bringen, dann starten sie millionenschwere PR-Kampagnen. Aber wenn diese Regierung ein ganz neues Kinderschutzgesetz macht, dann ruht still der See. Das ist unmöglich.

Sie meinen, die Veranstaltung der Ministerin kommt zu spät?

Hilgers: Dass Frau Schröder gerade jetzt Bilanz zieht, ist wohl eher dem Wahlkampf geschuldet, als der Einsicht, Versäumtes endlich wettzumachen.

Durch das Gesetz werden aber Familienhebammen besser gefördert.

Hilgers: Ich halte es für eine Notlösung, dass Familienhebammen über die Jugendhilfe finanziert werden. Der bessere Weg wäre eine komplette Finanzierung durch das Gesundheitssystem gewesen. Denn eine Mischfinanzierung bringt immer administrative Probleme mit sich. Die Eltern müssten bei längerem Bedarf einer Hebamme einen Finanzierungsanspruch gegenüber den Krankenkassen haben. Dass dies nicht geschehen ist, liegt daran, dass sich das Bundesgesundheitsministerium nur unzureichend an dem Gesetz beteiligt hat.

Wie steht es um die Finanzierung der gesetzlichen Vorgaben?

Hilgers: Das Hauptproblem ist, dass die Städte mit dem meisten Hilfe-Bedarf für junge Familien auch die ärmsten Kommunen in Deutschland sind. Berlin und Bremen drückt der Schuh wegen der hohen Kinderarmutsquoten deutlich stärker als zum Beispiel München oder Kommunen am Tegernsee. Lösen lässt sich das nur durch eine umfassende Gemeindefinanzreform.

Wo sehen Sie konkret gesetzlichen Nachbesserungsbedarf?

Hilgers: Kinder und Jugendliche müssen einen allgemeinen Rechtsanspruch auf Beratung gegenüber dem Jugendamt bekommen. Nach geltendem Recht ist das nur gewährleistet, wenn sie sich in einer Krisensituation befinden. Aber kein Kind wird doch sofort auf ein Problem wie zum Beispiel häusliche Gewalt zu sprechen kommen. In der nächsten Wahlperiode muss das Kinderschutzgesetz umfassend überarbeitet werden.

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