Feindbild Deutschland"Hier wird kein Hass geschürt"

Warum ist Angela Merkel für viele Griechen so ein Feindbild?Chatzimarkakis: Weil die Politik der Bundesregierung in den letzten zweieinhalb Jahren zu einseitig nur für Sparpolitik stand, die in Griechenland zu verheerenden sozialen Verwerfungen geführt hat. Und weil die Kanzlerin bis zum Sommer dieser Linie gefolgt ist. Jetzt hat sie das glücklicherweise geändert

Warum ist Angela Merkel für viele Griechen so ein Feindbild?

Chatzimarkakis: Weil die Politik der Bundesregierung in den letzten zweieinhalb Jahren zu einseitig nur für Sparpolitik stand, die in Griechenland zu verheerenden sozialen Verwerfungen geführt hat. Und weil die Kanzlerin bis zum Sommer dieser Linie gefolgt ist. Jetzt hat sie das glücklicherweise geändert.

Sie finden die Demonstrationen also berechtigt?

Chatzimarkakis: Wir erleben solche Proteste ja nicht nur in Griechenland, sondern auch in Portugal, Spanien und anderen Ländern. Was sich hier ausdrückt, ist die Wut über Sparprogramme, die dem heutigen europäischen Modell nicht mehr entsprechen. Alle sollten bei ihren Protesten aber ein gewisses Maß einhalten.

Es werden sogar Nazi-Vergleiche bemüht. Kommt da alte Abneigung hoch, oder wird neuer Hass geschürt?

Chatzimarkakis: Hier wird kein Hass geschürt, hier wird versucht, Stimmung zu machen. Entweder von Parteien, die damit Stimmen gewinnen wollen, oder von Medien, die sich verkaufen wollen. Ich würde das nicht überbewerten.

Gibt es in Griechenland niemanden, der darauf hinweist, dass nicht die Deutschen, sondern die Griechen überschuldet sind und dass deutsche Steuerzahler für die Rettung geradestehen sollen?

Chatzimarkakis: Die Griechen sehen sehr wohl, dass sie Fehler gemacht haben. Aber die Härte, mit denen man ihnen begegnet ist, die finden sie übertrieben. Die große Mehrheit der Bevölkerung sieht in Angela Merkel die Repräsentantin eines großen, wichtigen EU-Landes und freut sich auf den Besuch. Und diese große Mehrheit erwartet von der Kanzlerin Anerkennung für das, was das griechische Volk in den letzten drei Jahren trotz aller Unkenrufe schon geleistet hat.

Es geht also um Empathie, um Mitgefühl für die Griechen?

Chatzimarkakis: Absolut. Angela Merkel hat seit dem Sommer schon zwei Mal gesagt, dass ihr Herz für die Menschen in Griechenland blutet. Das ist dort sehr angekommen. Außerdem ist wichtig, dass man sich endlich mal direkt mit den Griechen unterhält. Und nicht nur über sie redet. Das ist schon ein großer Fortschritt.

Foto: dapd

Berlin. Michal Maillis ist "ein bisschen aufgeregt", wie er der SZ sagt, und deshalb hat er sich schon mal etwas aufgeschrieben für sein Treffen heute in Athen mit der Kanzlerin. Maillis, der vor über 40 Jahren in Clausthal-Zellerfeld studierte, steht der griechisch-deutschen Handelskammer vor und wird zu jenen Wirtschaftsvertretern des Landes gehören, mit denen Angela Merkel sprechen will, nachdem sie zuvor bei Ministerpräsident Antonis Samaras und Präsident Karolos Papoulias gewesen ist. Maillis hat eine zentrale Erwartung an die Kanzlerin: Dass sie ein klares Bekenntnis abgibt, wonach Griechenland "unbedingt" im Euro bleiben soll.

Die Kanzlerin wird das bei ihrem ersten Besuch in Athen seit Ausbruch der Schuldenkrise wohl tun, aber nicht ohne "wenn" und "aber". Nämlich "wenn" Griechenland auch seine Spar- und Reformpflichten erfüllt. "Aber" um das zu bewerten, bleibt der Bericht der Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank abzuwarten. Das sind die einschränkenden Botschaften, die jedenfalls ihr Regierungssprecher am Vortag gleichrangig mit dem Wunsch nach einem Verbleib der Griechen in der Gemeinschaftswährung verkündet. Mehr ist Steffen Seibert nicht zu entlocken.

Zum ersten Mal darf sich die deutsche Kanzlerin so fühlen, wie sonst nur amerikanische Präsidenten bei Auslandsbesuchen. Ganz Athen wird eine Festung sein, die Gewerkschaften wollen die Innenstadt und den Sitz des Ministerpräsidenten blockieren, rechte Gruppen gar die deutsche Botschaft umzingeln. 7000 Polizisten sind in die Hauptstadt beordert, Ausnahmezustand auf den Straßen. Merkels Kolonne wird streng abgeschirmt vom Flughafen zu den ebenso abgeschirmten Treffpunkten in der Innenstadt rasen. Für den Besuch sind nur sechs Stunden eingeplant.

Deutschland ist für die Griechen wegen seines Gewichts im Euro-Raum tatsächlich eine Großmacht, und zwar die entscheidende. Und Angela Merkel ein Feindbild, jede Menge Nazi-Vergleiche inklusive. Das übrigens findet Maillis nicht gerecht. Die Töne aus Berlin, sagt er, seien in letzter Zeit viel freundlicher geworden. Wie zum Beweis sagt Merkels Sprecher Steffen Seibert in Berlin, dass die Maßnahmen der griechischen Regierung "Respekt" verdienten, schließlich seien zum Beispiel das Primärdefizit und die Lohnstückkosten schon erheblich gesenkt worden.

Das große Problem des Besuches aber werden Merkels Wenns und Abers sein. Sie wird nicht eindeutig zusagen können, dass Griechenland im Euro bleibt, und auch nicht, dass das Land weitere 31 Milliarden Euro vom gestern gestarteten Rettungsschirm ESM als Staatsanleihen bekommt. Da bleibt, wird sie sagen, sowieso der Bericht der Troika abzuwarten, die sich allerdings über die Beurteilung der Lage gerade zerstritten hat.

Ministerpräsident Samaras wird flehen, dass sein Land pleite sei, wenn das Geld bis November nicht fließe. Und Leute wie Maillis werden der Kanzlerin eindringlich darlegen, dass nur mit diesem Geld die Banken rekapitalisiert werden können, was nötig ist, damit überhaupt wieder Kredite für die Unternehmen fließen. Und dass nur mit dieser neuen Hilfe auch die Regierung ihre ausstehenden Rechnungen bei ihren heimischen Firmen von sieben Milliarden Euro zahlen kann. Der Wirtschaftskreislauf müsse nach drei Jahren schwerer Rezession in Folge wieder in Gang kommen, beschwört der Unternehmer, und deshalb müsse Europa Vertrauen haben. "Wir wissen, dass wir die versprochenen Reformen umsetzen müssen und das wird auch geschehen", verspricht er. So werden alle in Athen heute reden, und die Kanzlerin wird im Gegenzug nach dem Stand des nächsten Sparprogramms von 13,5 Milliarden Euro fragen - gegen das die Leute draußen auf den Straßen wütend protestieren, weil es so vielen Menschen sowieso schon so schlecht geht. Es wird kein einfacher Besuch in Athen. Für keinen der Beteiligten.

Hintergrund

Tausende Griechen haben gestern Abend in Athen gegen den Sparkurs und den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) protestiert. Einzelne Demonstranten trugen Plakate mit beleidigenden und diffamierenden Aufschriften. "Raus aus unserem Land, du Schlampe", hieß es auf einem Plakat. "Tochter Hitlers, raus aus Griechenland und kein Viertes Reich", stand auf einem anderen. "Mit unserer Präsenz wollen wir unsere Politiker dazu bringen, endlich Nein zum endlosen Sparen zu sagen", sagte eine Demonstrantin.

Rund 300 ältere Menschen hatten zuvor bereits vor der ständigen Vertretung der EU in Athen zwei Fahnen der EU verbrannt. "Sie kürzen und kürzen unsere Renten. Wir können uns nichts mehr leisten. Wir werden einfach in den Mülleimer geworfen", sagte einer der Demonstranten. dpa

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