Fassungslosigkeit nach dem Debakel
Mainz · Julia Klöckner wurde schon als mögliche Nachfolgerin von Angela Merkel gehandelt. Doch diese Karriere-Option dürfte sich für die 43-Jährige nach der gestrigen Niederlage erst einmal erledigt haben.
Einer aus dem inneren Zirkel der CDU ist auch anderthalb Stunden, nachdem er die schlechte Botschaft erfahren hat, noch immer völlig fassungslos. "Ich kann es einfach nicht glauben", sagt er, "ein, zwei Prozentpunkte Abstand, na ja, aber gleich vier oder fünf." Der Mann ist mit seiner Einschätzung an diesem Abend nicht allein. Als um 18 Uhr die erste Prognose über die Bildschirme flimmert, könnte man im Kurfürstlichen Schloss eine Stecknadel fallen hören. Totenstille, würden Spötter wohl sagen.
Die Verantwortlichen hatten die CDU-Wahlparty noch wenige Tage zuvor kurzerhand vom ersten Stock in den deutlich größeren Eingangsbereich gelegt, weil sich so viele Sympathisanten angemeldet hatten - wohl in Erwartung eines haushohen Siegs der seit einem Vierteljahrhundert auf den harten Oppositionsbänken sitzenden Christdemokraten. Dass es damit wieder nichts werden würde, dämmerte der in ihrer Parteizentrale am Rheinufer ausharrenden CDU-Spitze schon am späten Sonntagnachmittag. Da sickerten die ersten Ergebnisse der Befragungen vor den Wahllokalen durch, die nichts Gutes ahnen ließen. "Dreyer liegt zwei Prozentpunkte vor Klöckner", hieß es.
Zu diesem Zeitpunkt füllt sich das Erdgeschoss im Schloss. Die CDU hat ordentlich auffahren lassen. Es gibt ein reichhaltiges kalt-warmes Büfett, dazu Wein, Bier und viel Anti-Alkoholisches. Vermutlich stand den meisten eintrudelnden Gästen später der Sinn eher nach Hochprozentigem. Doch zunächst sind alle noch bester Laune und optimistisch. "Ich hoffe auf einen Wahlsieg und tippe auf ein Ergebnis von 37 zu 34 Prozentpunkten", meinte ein Landrat. "Es ist meine erste Wahlparty bei einer Landtagswahl", sagte der CDU-Politiker, noch nicht wissend, dass es an diesem Abend wenig zu feiern geben wird. Was heißt wenig?
Um kurz vor halb Sechs schweigt es an einigen Tischen herum, dass die Prognosen die CDU im Hintertreffen sehen. Sogleich beginnen die Spekulationen, woran es gelegen haben mag, wenn es am Ende wieder nichts wird mit einem Wahlsieg. "Das mit dem Wolf gegen die Merkel war der Tick zu viel", kritisiert einer das drei Wochen vor der Wahl von Julia Klöckner und dem baden-württembergischen Spitzenkandidaten Guido Wolf veröffentlichte Papier zur Flüchtlingspolitik. Als die ersten Zahlen wenig später auf den Großleinwänden zu sehen sind und die Ersten sich wieder gefangen haben, wird an einigen Stehtischen schon nach Ursachen für das Desaster gesucht. "Die Flüchtlingsfrage hat die landespolitischen Themen überlagert", sagt CDU-Fraktionsvize Alexander Licht. "Die SPD hat von der Schwäche der Grünen profitiert", meint die Abgeordnete Elfriede Meurer.
Die Spitzenkandidatin Julia Klöckner lässt sich Zeit, bis sie im Schloss erscheint. Da haben die ersten Getreuen die Wahlparty schon wieder verlassen. "Die Chefin muss sich nach so einer Schlappe ja auch erst mal fangen", meint einer, der vorher mit ihr gemeinsam in der Parteizentrale den ersten Schmerz verdaut hat. Beifall brandet auf, "Julia, Julia"-Rufe sind zu hören.
Kritik an der Parteichefin ist nirgends zu hören. "Sie muss weitermachen", sagen alle, die nach dem Verbleib Klöckners gefragt werden. Der Bundestagsabgeordnete Peter Bleser empfiehlt seiner Partei bereits die Juniorpartnerschaft in der großen Koalition. "Wenn wir die Gelegenheit haben, Verantwortung zu übernehmen, sollten wir dies tun."