Familien-Pflegezeit ist ein Flop

Berlin · Das Familienpflegezeit-Gesetz ist schon ein Jahr in Kraft, doch kaum jemand kennt es. Drei Viertel wissen zum Beispiel nicht, dass sie eine bezahlte Auszeit nehmen können, wenn plötzlich ein Pflegefall eintritt.

Ein Jahr nach Einführung der neuen Regelungen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege nutzen einer Studie zufolge weiter nur wenige Menschen die neuen Möglichkeiten. Ursache seien unter anderem finanzielle Gründe, aber auch die Angst vor beruflichen Nachteilen, wie aus einer gestern veröffentlichten Umfrage der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) hervorgeht. Die große Mehrheit der erwerbstätigen Deutschen glaubt demnach nicht, dass sich Beruf und Pflege gut vereinbaren lassen. Nur sieben Prozent sind dieser Meinung.

Offenbar gibt es noch große Informationsdefizite: Der Umfrage zufolge fühlen sich 84 Prozent "eher schlecht" oder "sehr schlecht" über die Regelungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege informiert. So ist zum Beispiel die Familienpflegezeit, die einen Rechtsanspruch auf reduzierte Arbeitszeit und teilweise Freistellung vorsieht, der großen Mehrheit nach wie vor unbekannt (84 Prozent). Ähnliches gilt auch für die halbjährige Pflegezeit sowie die Möglichkeit einer Freistellung. Darüber hinaus äußern Berufstätige, die keine Familienpflegezeit für sich in Betracht ziehen, zahlreiche Vorbehalte: Rund drei Viertel geben finanzielle Gründe und knapp ein Viertel organisatorische Probleme an. Auch die Angst vor beruflichen Nachteilen würde immerhin 43 Prozent davon abhalten, die Familienpflegezeit zu nutzen. In gut jedem fünften Fall haben die Befragten Angst, dass Vorgesetzte wenig Verständnis dafür haben.

Drei Viertel der Befragten kennen der Umfrage zufolge nicht einmal die Möglichkeit, spontan zehn Tage pausieren zu können, wenn in der Familie plötzlich ein Pflegefall auftritt. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD ) hatte die zum Jahresbeginn 2015 eingeführte Lohnfortzahlung von bis zu 90 Prozent als "wichtigen Fortschritt" bezeichnet.

Meinung:

Mehr Mut zur Fürsorge

Von SZ-RedakteurinIris Neu

Babypause, Elternzeit - längst haben deutsche Mütter und Väter ihren Anspruch darauf verinnerlicht. Ebenso die Arbeitgeber . Freilich traf die Politik die Entscheidung für Gesetze dieser Art nicht ohne Hintergedanken: Frauen soll damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert werden - in der Hoffnung, den demografischen Wandel in Deutschland einzudämmen. Anders sieht es beim Familienpflegezeit-Gesetz aus, das offensichtlich noch nicht im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Aus Angst vor beruflichen Nachteilen - oder gar aus Scham? Das spricht nicht unbedingt für eine Gesellschaft, die sich auch Wertegemeinschaft nennt. Eine solche muss aber Alten und Kranken dieselbe Fürsorge angedeihen lassen wie dem Nachwuchs. Nach Möglichkeit sollten auch Arbeitgeber ihre Mitarbeiter dazu ermutigen. Denn zu Familien gehören nicht nur Kinder, sondern auch Alte und Pflegebedürftige.

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