EuGH beschließt Arbeitszeiterfassung Bald keine unbezahlten Überstunden mehr?

Luxemburg/Berlin · Der EuGH fordert von allen EU-Staaten Systeme zur Erfassung der Arbeitszeit. Während Gewerkschaften jubeln, sind Arbeitgeber alles andere als begeistert.

 (Symbolbild)

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Foto: dpa/Armin Weigel

Alle Dienstzeiten, alle Überstunden, jede Email nach Feierabend: Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, die volle Arbeitszeit aller Beschäftigten systematisch zu erfassen. Das folgt aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Dienstag. Die Gewerkschaften begrüßten dies als Schutz vor unbezahlten Überstunden und Verfügbarkeit rund um die Uhr. Arbeitgeber warnen vor neuer Bürokratie. Ob Deutschland nun Gesetze ändern muss, wird nach Angaben von Arbeitsminister Hubertus Heil erst noch geprüft. Das EuGH-Urteil (Rechtssache C-55/18) löste in Deutschland sofort heftige Debatten aus. Längst nicht in allen Branchen werden Arbeitszeiten systematisch erfasst: Nach Gewerkschaftsangaben sind in Deutschland mindestens 20 Prozent der Arbeitnehmer außen vor, unter anderem im Außendienst oder im Home Office. Auch für sie fordert der EuGH ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zur Messung der geleisteten täglichen Arbeitszeit. Alle EU-Staaten müssten dies durchsetzen, entschieden die obersten EU-Richter. Denn ohne solche Systeme könnten weder die geleisteten Stunden noch die Zahl der Überstunden verlässlich ermittelt werden. Jeder Arbeitnehmer habe ein Grundrecht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten.

In dem Fall vor dem EuGH hatte eine Gewerkschaft in Spanien geklagt, wo die Rechtslage bis vor wenigen Tagen ähnlich war wie in Deutschland: Es bestand nur eine Pflicht zur Aufzeichnung der Überstunden – nicht der gesamten Arbeitszeit. Inzwischen hat die sozialistische Regierung in Spanien eine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung eingeführt. Sie trat am Sonntag in Kraft und lief keineswegs reibungslos an. Zahlreiche Unternehmen hätten die nötigen Vorkehrungen nicht getroffen, sagte eine Sprecherin des Gewerkschaftsdachverbandes CCOO.

In Deutschland hoffen die Gewerkschaften nun auf Fortschritte. „Das Gericht schiebt der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor – richtig so“, kommentierte Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Die Zahl der unbezahlten Überstunden – etwa eine Milliarde im Jahr 2017 – sei inakzeptabel hoch und komme „einem Lohn- und Zeitdiebstahl gleich“. Für Arbeitnehmer könne dies ernste gesundheitliche Folgen haben.

Auch Heimarbeit oder Außendienst müsste künftig registriert werden, etwa über Apps oder am Laptop. Wird abends von zuhause noch dienstlich telefoniert oder werden E-Mails geschrieben, müssten danach elf Stunden Ruhezeit eingehalten werden.

Die Gewerkschaft Verdi sprach von einem wichtigen Schritt: „Arbeitszeit ist in Europa keine dokumentations- und kontrollfreie Zone mehr.“

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände übte indes Kritik. Das Urteil sei wie aus der Zeit gefallen, erklärte der BDA: „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert.“ Die Entscheidung dürfe keine Nachteile für Arbeitnehmer mit sich bringen, die flexibel arbeiteten. Auch künftig kann der Arbeitgeber aus Sicht des Verbands seine Beschäftigten verpflichten, ihre Arbeitszeit selbst aufzuzeichnen.Die Unternehmen befürchten Bürokratie, aber auch weniger flexiblen Einsatz ihrer Mitarbeiter.

Schon bisher müssen Überstunden erfasst werden – was aus Sicht von Experten bedeutet, dass eigentlich auch schon heute die reguläre Arbeitszeit aufgezeichnet werden müsste. Auch Arbeitsminister Heil sagte: „Die Aufzeichnung von Arbeitszeit ist notwendig, um die Rechte der Beschäftigten zu sichern.“

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