EU macht Druck auf Russland

Brüssel · Schon in dieser Woche soll es so weit sein: Dann will die EU diverse neue Sanktionen gegen Russland beschließen. Sofern Moskau seine Ukraine-Politik nicht noch in letzter Minute ändert.

Als Reaktion auf den mutmaßlichen Abschuss des Passagierfluges MH17 in der Ostukraine will die EU unter anderem Rüstungsgeschäfte mit Russland einschränken. Die EU werde ihre Sanktionen "in der Breite und in der Tiefe" deutlich ausweiten, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD ) gestern in Brüssel . Bis Donnerstag muss die EU-Kommission konkrete Maßnahmen ausarbeiten. Die sollen neben dem Handel mit Rüstungsgütern auch den Verkauf von Produkten an Russland einschränken, die neben einem zivilen auch einen militärischen Nutzen haben. Die geplanten Maßnahmen zielen zudem auf Schlüsseltechnologien aus dem Energiebereich sowie eine Einschränkung des Zugangs zu den europäischen Finanzmärkten.

"Wir erhöhen substanziell den Druck", so Steinmeier. Es war das erste EU-Treffen nach dem wahrscheinlichen Abschuss des Passagierflugzeuges MH17 mit 298 Toten.

Westlichen Erkenntnissen zufolge sind prorussische Separatisten für den Abschuss verantwortlich. Bisher ist unklar, ob die Raketen aus Russland kamen. Moskau habe "nicht genügend getan, um zu einer Entschärfung des Konflikts in der Ostukraine ernsthaft beizutragen", kritisierte Steinmeier in Brüssel .

Zudem weitet die EU ihre Einreiseverbote und Kontensperrungen aus - unter anderem auf Firmen, die zur Destabilisierung der Lage beigetragen haben. Letztere dürfen keine Geschäfte mit EU-Firmen machen und können nicht mehr über Vermögenswerte in der EU verfügen. Am Donnerstag soll über eine erste Liste von Unternehmen entschieden werden, für die neue Sanktionen gelten sollen. Auch bestimmte "russische Entscheidungsträger" sollen auf schwarze Listen der EU gesetzt werden. Die EU hat bisher gegen 72 Russen und prorussische Ukrainer Einreiseverbote und Kontensperrungen verhängt.

Für die Maßnahmen gegen Rüstungsexporte hatten sich unter anderem der britische Außenminister Philip Hammond und dessen schwedischer Kollege Carl Bildt eingesetzt. Frankreich hingegen beharrte darauf, dass es noch zwei Hubschrauberträger des Typs Mistral an Russland liefern darf. Britische Experten für Flugzeugunglücke sollen die Flugschreiber der in der Ostukraine abgestürzten Passagiermaschine untersuchen. Auf Bitte der Niederlande würden Spezialisten im südenglischen Farnborough die Daten der Blackboxes von Flug MH17 sichern, damit sie international ausgewertet werden können, teilte Premierminister David Cameron gestern mit. Ein belgisches Militärflugzeug wird die Flugschreiber von der Ostukraine nach Großbritannien bringen. Die prorussischen Separatisten in der Ostukraine hatten zuvor den Flugschreiber und den Stimmenrekorder der Maschine übergeben. Die Geräte waren offenbar intakt und nur geringfügig beschädigt. Am Nachmittag sei dann ein Flugzeug vom Typ Embraer vom Brüsseler Militärflughafen Melsbroek Richtung Kiew gestartet, teilte das belgische Verteidigungsministerium dazu mit. An Bord seien Experten und Vertreter der Vereinten Nationen.

Die besonders schwer von der Tragödie um Flug MH17 betroffenen Niederlande haben die Leitung der Ermittlungen zum Absturz der Passagiermaschine übernommen. Das sei auf Bitten von Kiew geschehen, erklärte gestern die niederländische Regierung. Heute sollten die ersten Leichen der Absturzopfer zur Identifizierung in den Niederlanden eintreffen. Von den 298 Menschen an Bord der mutmaßlich abgeschossenen Boeing 777 waren 193 Niederländer.

Der Zug mit den Leichen erreichte gestern Mittag Charkiw, das unter Regierungskontrolle steht. Die Identifizierung der Toten kann bis zu mehrere Monate dauern, wie Regierungschef Mark Rutte sagte. Niederländischen Experten zufolge wurden außerdem bislang erst rund 200 Leichen abtransportiert. Die malaysische Maschine war am Donnerstag über einem Gebiet unter Kontrolle prorussischer Aufständischer abgestürzt. Der wahrscheinliche Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 mit 298 Toten markiert einen Wendepunkt im Ukraine-Konflikt. Das Maß ist voll. Russlands Präsident Putin hat bisher immer nur so viel eingelenkt, dass die Europäer sich nicht auf Wirtschaftssanktionen einigen konnten. Er hat viel versprochen, aber wenig getan, um zur Deeskalation beizutragen. Die Art wie sich Putin für unzuständig erklärte und wie die von Russland unterstützten Separatisten mit den Toten und deren Habseligkeiten umgingen, kann nur blankes Entsetzen hervorrufen. Trotzdem schreckt die Europäische Union weiter vor entschlossenen Schritten zurück. Es wird keine richtigen Wirtschaftssanktionen geben. Lediglich ein Waffen-Embargo wird vorbereitet. Langsam wird das Zaudern der EU peinlich.

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