EU holt Abgastests auf die Straße

Wenn es um ihr Auto geht, verstehen die Deutschen keinen Spaß. Sollte also Brüssels Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska geglaubt haben, das Land, in dem Ingenieurskunst bisweilen auch das Manipulieren von Abgassystemen meint, werde bei den Beratungen über neue Emissionsgrenzwerte in Sack und Asche daherkommen, wurde sie enttäuscht.

Schon bevor gestern die Sitzung des "Technischen Komitees Motorenfahrzeuge" stattfand, hatte Berlin vorsorglich signalisiert, dass man einer raschen Einführung neuer Testverfahren bis 2017 keineswegs aufgeschlossen gegenüberstehe. 2021 wäre deutlich genehmer.

Und so kam es, dass gestern der VW-Vorstand einen starken Umsatzeinbruch melden musste, während in Brüssel heftig gerungen wurde, als sei nichts passiert. Tatsächlich war in den letzten Wochen wenig Berichtenswertes geschehen. Denn Bienkowskas Aufregung über verfälschte Abgaswerte hätte sich als überflüssig entpuppt, wenn sie etwas früher in die Unterlagen geschaut hätte, die ihr Vorgänger ihr hinterlassen hatte. Dort schlummerte eine Studie des kommissionseigenen Forschungszentrums für Energie und Transport aus dem Jahre 2011. Die Experten stellten damals fest, dass beispielsweise bis zu 400 Prozent mehr Stickoxide aus dem Auspuff kommen, wenn man ein Fahrzeug nicht im Labor, sondern unter realen Straßenbedingungen prüfen würde. Also: anfahren, bremsen, wieder anfahren, beschleunigen und so weiter. Zwei Jahre später warnte der damalige EU-Umweltkommissar Janez Potocnik vor möglichen Tricks der Autobauer, die nötig seien, um die von der Union gesetzten Grenzwerte einzuhalten. Geschehen ist aber nichts.

Das soll nun nachgeholt werden. Denn noch in diesem Jahr wollen die EU-Institutionen neue Tests für Pkw, kleine Lkw und Nutzfahrzeuge auf den Weg bringen. Im Visier haben die Experten vor allem den Diesel-Motor, von dem sie sagen, seine Emissionen seien "um den Faktor 4 höher als die derzeit gültige Euro-6-Norm vorschreibt". Kein Zweifel also, dass die Tests angepasst werden müssen. Die Zauberformel heißt RDA (Real Driving Emissions), also ein Test unter realen Fahrbedingungen, auf den man sich dann doch gestern verständigte. In einem ersten Schritt dürfen neue Diesel-Fahrzeuge den bisherigen Grenzwert von 80 Milligramm Stickoxid je gefahrenem Kilometer noch um den Faktor 2,1 übertreffen. Ab 2020 wird eine Abweichung höchstens um den Faktor 1,5 erlaubt. Die Kommission nennt diesen Fahrplan "ehrgeizig". Dabei geht es jetzt zunächst einmal um die Beseitigung der Stickoxide sowie der Feinstaubpartikel, die beide gesundheitlich höchst gefährlich sind, denn sie rufen Atemwegserkrankungen hervor - oder verstärken diese.

Gleichzeitig hat sich Brüssel aber auch den Kampf gegen Kohlendioxid auf die Fahnen geschrieben, um das Klima effizienter zu schützen. CO{-2} gilt als Klimakiller, weil es die lebenswichtige Ozonschicht zerstört. Um die Erde besser zu schützen, erließ man bereits neue Grenzwerte für diesen Teil des Abgases: Derzeit dürfen die Fahrzeuge bis zu 130 Gramm CO{-2} je gefahrenem Kilometer ausstoßen. Ab 2021 dann nur noch 95 Gramm.

Während die Stickstoffoxide aber pro Fahrzeug-Typ gemessen werden, gilt der CO{-2}-Grenzwert für den Durchschnitt der gesamten Fahrzeugflotte eines Herstellers - kurzum: Er kann mit kohlendioxidarmen Autos den höheren Ausstoß seiner Luxus-Limousinen ausgleichen. Und damit beginnt das Problem: Diesel-Motoren produzieren nämlich bis zu 15 Prozent weniger Klimakiller als Benziner. Würde Brüssel also jetzt die Selbstzünder an die Leine legen und der Kunde sich - verstärkt durch den VW-Skandal - ebenfalls von diesen Fahrzeugen abwenden, riskiert man, dass die komplette Rechnung am Ende nicht aufgeht.

Die EU steht also vor der Frage, ob sie tatsächlich so scharf durchgreifen soll, wie sie das eigentlich zum Schutz der Gesundheit tun müsste, dafür aber beim Klimaschutz einen Rückschritt hinnehmen soll. Sicher scheint derzeit nur, dass die Institutionen in den nächsten Wochen von der Auto-Industrie Antworten verlangen werden: Wie sauber können Autos bis wann werden? Wer das dann kontrolliert, ist noch offen. Eine neue europäische Mammutbehörde zur Kontrolle neuer Fahrzeug-Typen hat das EU-Parlament jedenfalls in dieser Woche abgelehnt - unter tatkräftiger Hilfe der Abgeordneten aus dem Land, in dem Autos ein bisschen mehr sind als nur Fahrzeuge.

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