EU droht Ungarn mit Rauswurf

Brüssel/Straßburg · Die Geduld der Europa-Abgeordneten und der Kommission mit Ungarn ist am Ende. Sie bringt daher nun ihre schärfste Waffe ins Spiel: den Entzug aller Stimmrechte – was einem faktischen Ausschluss gleichkäme.

Die EU will den Druck auf Ungarn erhöhen und scheut sich inzwischen auch nicht mehr, ihre schärfste Waffe zu zücken: den Entzug aller Stimmrechte. Spätestens im Juni könne die EU-Kommission das auch von Budapest gefürchtete Strafverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags einleiten, hieß es gestern in Brüssel. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Union, dass gegen ein Mitgliedsland dieses politische Verfahren eröffnet wird. Dabei geht es um die Frage, ob der Staat noch demokratisch ist. Das Instrument gilt intern als die "Atombombe" im europäischen Recht, denn der Schritt kommt einem Rauswurf gleich. Man sei "sehr besorgt", betonte EU-Justiz- und Grundwerte-Kommissarin Viviane Reding vor den Europa-Abgeordneten gestern in Straßburg. "Wir drängen die ungarischen Behörden, verantwortungsvoll und im besten Interesse ihres Landes und der gesamten EU zu handeln."

Von den Parlamentariern bekam sie gestern schon mal deutliche Unterstützung. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten im Straßburger Plenum, Hannes Swoboda, sprach offen von "Verletzungen der europäischen Werte" durch die Regierung von Viktor Orban.

Orban selbst fehlte gestern wegen der Trauerfeierlichkeiten für die verstorbene britische Premierministerin Margaret Thatcher in London. Am Dienstagabend aber hatte er sich vor seinen konservativen Parteifreuenden von der EVP gerechtfertigt. Es werde "keine Konsequenzen" geben, betonte der außenpolitische Experte der CDU-Europa-Abgeordneten, Elmar Brok, anschließend. Orban habe zugesagt, die Vorwürfe der Kommission prüfen und notfalls die Gesetze seines Landes anpassen zu lassen. Die EVP war zufrieden, Forderungen nach einem Ausschluss der ungarischen Fidesz-Partei von Orban scheinen vorerst wieder einmal vom Tisch. Im Plenum verteidigte man den Budapester Parteikollegen gegen Vorwürfe. EVP-Fraktionschef Joseph Daul: "Ich will kein Theater mehr. Die Kommission soll Fakten auf den Tisch legen."

Tatsächlich spielt der ungarische Premier dieses "Katz-und-Maus-Spiel" nun schon seit langem. Dabei geht es keineswegs um Kleinigkeiten. Brüssel stößt sich beispielsweise an einer Neuregelung in der Verfassung Budapests, nach der Geldbußen wegen Vertragsverletzungen, die vom Europäischen Gerichtshof ausgesprochen wurden, nicht mehr von der Regierung, sondern von den Bürgern bezahlt werden sollen. Auch das Verbot kostenloser Wahlwerbung im privaten Rundfunk - wobei unklar ist, ob das Internet dazu zählt - sieht man in der Kommission als gravierend an, weil die Europawahl berührt ist. Der dritte aktuelle Streitpunkt betrifft ein neues Recht des Präsidenten des nationalen Justizamtes. Der kann nämlich jetzt auch laufende Verfahren einfach einem anderen Gericht zuweisen. Brüssel argwöhnt hier einen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit und einen ersten Schritt zu politisch erwünschten Urteilen.

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