EU denkt über Sanktionen gegen Russland nach Auf der Suche nach einer harten Strafe

Brüssel · Die EU will Moskau wegen des Anschlags auf den Regierungskritiker Nawalny zur Verantwortung ziehen. Unklar ist, welche Sanktionen wirken könnten.

EU denkt nach Nawalny-Anschlag über Sanktionen gegen Russland nach
Foto: dpa/Arne Immanuel Bänsch

Drei Wochen dürfte der russische Präsident Wladimir Putin Zeit haben, um die Hintergründe des Giftanschlages auf Alexej Nawalny aufzuklären. Zwar hat die EU bisher jeden Eindruck vermieden, ein Ultimatum zu stellen. Und außerdem will die Gemeinschaft, so ein Sprecher der EU-Kommission, zunächst das Ergebnis der russischen Ermittlungen abwarten, ehe man über Sanktionen diskutierte. Aber in genau drei Wochen treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel – möglicherweise sogar physisch in Brüssel. Dass dann das Thema „Sanktionen gegen Russland“ auf der Tagesordnung steht, scheint bereits klar.

Bereits am Mittwoch hatte Kommissionschefin Ursula von der Leyen unerwartet scharf gefordert: „Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Ähnliche Signale gab es auch aus einigen EU-Hauptstädten. Doch noch ist nicht erkennbar, wie solche Strafen aussehen könnten. Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Oliver Hermes, bemühte sich am Donnerstag, naheliegende Forderungen nach Bestrafungen Moskaus und vor allem einem Stopp des Pipeline-Projektes Nordstream II erst gar nicht hochkommen zu lassen: „Auf die Vergiftung Nawalnys mit weiteren Wirtschaftssanktionen zu reagieren, die dann wieder an der Sache unbeteiligte Unternehmen und die russische Bevölkerung treffen, halten wir für falsch.“ Ausdrücklich lobte Hermes die Position von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die „eine Vermischung des Falles Nawalny mit Sanktionen gegen Nordstream II“ abgelehnt hatte.

In Brüssel winden sich erfahrene Außenpolitiker ebenfalls um dieses Thema herum. Auf Anfrage unserer Zeitung nannte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister, eine „unabhängige und transparente internationale Untersuchung dringend erforderlich, weil ähnliche Fälle von den russischen Behörden auch nicht aufgeklärt wurden“. Das Abgeordnetenhaus solle sich „zeitnah“ mit dem Fall befassen. Dietmar Köster, Außenpolitiker der Sozialdemokraten im EU-Parlament, stellte fest, der Anschlag sei „ein enormer Rückschlag für die EU-Russland-Beziehungen. Selten waren die Beziehungen so belastet wie derzeit“.

Der Außenpolitiker der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen in der EU-Abgeordnetenkammer, Sergey Lagodinsky, forderte dagegen gegenüber unserer Zeitung „gezielte Sanktionen gegen das Vermögen korrupter Politiker“. Außerdem erwartet er von der deutschen Regierung, „dass sie das hochumstrittene Projekt Nordstream II, das höchst unsolidarisch ist und die Ziele einer gemeinsamen EU-Energiestrategie torpediert, endlich einstampft“.

Doch die Interessenlage ist kompliziert. Sowohl im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs wie auch bei den Außenministern müssten Strafmaßnahmen einstimmig beschlossen werden. Vor allem die ungarische Regierung, aber auch die slowakische Führung gelten als eher russlandfreundlich, stehen damit aber weitgehend allein. Sogar die übrigen Ost-Mitgliedstaaten treten in Erinnerung an eigene Erfahrungen mit den Methoden Moskaus für eine scharfe Linie ein. Merkel wiederum kann derzeit nicht nur in ihrer Eigenschaft als Bundeskanzlerin agieren. Als höchste Repräsentantin der deutschen EU-Ratspräsidenschaft spricht sie für die gesamte Gemeinschaft – und kann da auf wichtige Verbündete wie Frankreich, die EU-Länder in Skandinavien sowie im Süden zählen.

Dennoch wurde am Donnerstag in Brüssel deutlich, dass scharfe Verurteilungen leichter fallen als konkrete Vorschläge für Sanktionen, sollte sich herausstellen, dass der Kreml hinter dem Anschlag steht – oder wieder wie bei früheren Fällen ausweichend und unbefriedigend antwortet. Ähnlich wortkarg zeigte sich am Donnetrstag auch die Nato, nachdem Generalsekretär Jens Stoltenberg am Tag zuvor noch bekräftigt hatte, die Allianz sehe „jeden Einsatz von chemischen Waffen als eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit“ an. Er werde die Lage mit den Bündnispartnern „erörtern“ – das klingt nicht wirklich nach Entschlossenheit. Weder die EU noch die Nato haben bisher eine Vorstellung davon, wie man Russland im Falle mangelhafter Aufklärung des Anschlags angemessen bestrafen könnte, ohne den Dialog mit Moskau insgesamt zu riskieren.

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