Erneuter Aufschrei gegen Berlins „Herdprämie“

Berlin · Das CSU-Prestigeprojekt Betreuungsgeld war unter Schwarz-Gelb umstritten. Doch Koalitionen müssen Kompromisse machen. Beim Betreuungsgeld steht im nächsten Jahr eine Überprüfung an.

Die Kritiker schmähten das Betreuungsgeld von Anfang an als "Herdprämie" und "Kita-Fernhaltebonus". Das CSU-Prestigeprojekt war noch unter Schwarz-Gelb verabschiedet worden. Nun, ein Jahr später, gibt eine Befragung von 120 000 Kleinkind-Eltern den Gegnern neuen Auftrieb. Denn laut den Ergebnissen stellt das seit August 2013 ausgezahlte Betreuungsgeld gerade für bildungsferne Eltern mit ausländischen Wurzeln einen materiellen Anreiz dar, kein Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung in Kitas zu nutzen. Dabei wären gerade jene Kinder auf Impulse von außen angewiesen.

Neben der Befragung der Eltern werteten die Forscher des Deutschen Jugendinstituts und der Uni Dortmund auch Erfahrungsberichte aus über 90 Kommunen aus. Ihr Fazit: Beim Streben, mit frühkindlicher Bildung und Sprachförderung mehr Chancengerechtigkeit für benachteiligte Kinder im späteren Bildungsweg zu erreichen, ist das Betreuungsgeld kontraproduktiv.

Eltern , die keine Berufsausbildung haben oder nur über den Hauptschulabschluss verfügen, führten zu 54 Prozent "den materiellen Anreiz Betreuungsgeld " als Grund dafür an, dass sie ihre Kleinkinder nicht in eine Kita schicken. Bei Familien mit mittlerer Reife sind dies 14 Prozent, bei Akademiker gar nur acht Prozent.

Die Befragung gibt zudem ausführlich Aufschluss über die Betreuungswünsche der Eltern von Kindern ab dem 15. Monat bis zum dritten Geburtstag. Bundesweit fragen inzwischen 41,7 Prozent der Eltern einen Betreuungsplatz in einer Kita oder bei einer staatlich geförderten Tagesmutter nach - ein Bedarf, der trotz des rasanten Ausbaus in den vergangenen Jahren vielerorts noch nicht gedeckt werden kann.

Dabei gibt es laut Studie bei der Nachfrage zwischen Kommunen und Regionen Schwankungen zwischen 30 und 60 Prozent - zum Teil auch innerhalb einer Großstadt zwischen einzelnen Stadtbezirken. Lediglich ein gutes Drittel der interessierten Eltern wünscht sich einen Ganztagsplatz für ihr Kleinkind. Dabei sind mehr als zwei Drittel des bisher ausgebauten Plätze Ganztagsangebote. Die Forscher werten dies als dringenden Hinweis an die kommunalen Planer, künftig auch mehr kürzere Betreuungszeiten anzubieten.

Der SPD-Familienpolitiker Sönke Rix spricht von "folgenschweren Ergebnissen". Eigentlich müsse das Betreuungsgeld gestoppt oder zumindest die zum 1. August vorgesehene Erhöhung von 100 auf 150 Euro monatlich rückgängig gemacht werden. Zumindest muss sich auch das Betreuungsgeld wie jedes neue Gesetz zwei Jahre nach Inkrafttreten einer Überprüfung stellen. Diese ist ab Sommer 2015 fällig. Vielleicht hat aber auch Karlsruhe bis dahin das Betreuungsgeld gekappt. Das SPD-regierte Bundesland Hamburg hat dort eine Verfassungsklage eingereicht - und die Richter fordern derzeit schon diverse Stellungnahmen ein. Da wird auch die Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts in die Gerichtsakten einfließen.

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HintergrundFamilienministerin Manuela Schwesig (SPD ) plant laut "Spiegel" offenbar doch keine bundeseinheitlichen Mindeststandards für Kindertagesstätten . Der Widerstand der Länder sei zu groß. Sie fürchteten die daraus resultierenden Kosten. Verbindliche Qualitätsstandards wie Personalausstattung oder die Qualifikation von pädagogischen Fachkräften werde man "mittelfristig" betrachten, also in der nächsten Legislaturperiode, habe es aus Schwesigs Ressort geheißen. kna

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