„Eine neue Vision wird unser Land leiten“

Am Ende dann, nach dem letzten Satz seiner Rede, kann er sich die Pose des Triumphs nicht länger verkneifen. Donald Trump ballt die Hand zur Faust, als stünde er auf einer Wahlkampfbühne in Michigan oder Pennsylvania und nicht auf einer Balustrade vorm Kapitol. Als müsste er noch immer seine Anhänger anfeuern, ihre Wut schüren, noch immer gegen die politische Elite wettern. Als wäre er noch immer Rebell und nicht Präsident.

Heute übergebe man die Macht nicht nur von einer Administration an die nächste, von einer Partei an eine andere, sagt er, "heute geben wir sie euch, dem Volk zurück". Zu lange, fügt er an, habe eine kleine Gruppe in Washington die Früchte geerntet, während das Volk die Kosten getragen habe. Politiker seien zu Wohlstand gelangt, "aber die Arbeitsplätze haben das Land verlassen, und die Fabriken wurden geschlossen". Das Establishment habe zwar sich selber geschützt, nicht aber die Bürger des Landes. Zu lange, sagt er, habe man die Industrien anderer Staaten reicht gemacht, auf Kosten der eigenen Industrie. "Von diesem Tag an wird eine neue Vision unser Land leiten. Von diesem Tag an wird es America First heißen. America First!"

Während der Wahlschlacht war er der Populist, der die in der Hauptstadt versammelten Akteure, gleich welcher Partei, kollektiv zu Versagern stempelte. 18 Monate lang zeichnete er ein dystopisches Zerrbild der Wirklichkeit. Auch in dem Punkt bleibt er sich am Freitag treu. In düsteren Tönen spricht er von Verbrechen, Drogen, Banden: "Das Blutbad muss aufhören, hier und jetzt". Die Zeit für leeres Gerede sei abgelaufen, sagt er, die Stunde des Handelns angebrochen. Dass es keine typische Inauguration ist, nicht wie sonst das feierliche Zeremoniell, das Differenzen wenigstens für einen Tag übertüncht, in den Straßen Washingtons ist es deutlich zu spüren. "Nicht mein Präsident! Nicht mein Präsident!", skandieren Demonstranten in der Nähe der Union Station.

Donald Trump habe die Chance, ein zweiter Ronald Reagan zu werden, meint dagegen Russell Martin, Mitte fünfzig, auf dem Kopf eine rote Baseballkappe, versehen mit dem Lieblingsslogan des Bauunternehmers - "Make America Great Again". Martin ist aus Atlanta nach Washington gefahren. "Ich glaube wirklich, und vielleicht bin ich da naiv, dass er etwas Gutes für unser Land tun wird", orakelt er. Amy Gonidakis, angereist aus Columbus in Ohio, appelliert an das Zusammengehörigkeitsgefühl. "Die Wahl ist gelaufen. Wir sitzen alle miteinander auf der Titanic. Wir sollten unserem Kapitän Mut zusprechen." Das Ritual ist natürlich das gleiche wie immer, so sehr Trumps Redetext von den Gepflogenheiten abweicht. Am Morgen geht der President-elect, wie er vor seinem Amtsschwur noch heißt, in die Kirche, St. John's Episcopal Church gegenüber dem Weißen Haus. So haben es seit Franklin D. Roosevelt, der 1933 den Anfang machte, alle Präsidenten gehalten. Pünktlich um halb zwölf betritt er auf der Westseite des Kapitols die hell gestrichene Holzbalustrade, an der sie wochenlang gezimmert haben. Der mormonische Tabernakelchor aus Salt Lake City singt. Später wird Jackie Evancho, eine 16-jährige Sopranistin aus Pittsburgh, entdeckt durch die Fernsehshow "America's Got Talent", die Nationalhymne singen. Als aber der New Yorker Chuck Schumer, der ranghöchste Demokrat im Senat, ans Pult tritt, um in markanten Sätzen an die Werte der Demokratie zu erinnern, muss er gegen zornige Sprechchöre ankämpfen. "Wir wollen Trump! Wir wollen Trump!", schallt es ihm von der Wiese vor dem Parlamentshügel entgegen. Ein grober Verstoß gegen die Regeln.

Dann legt der Milliardär eine Hand auf zwei Bibeln und schwört seinen Amtseid. Auf die eine Bibel hat bereits Abraham Lincoln geschworen, als er 1861 zum Präsidenten vereidigt wurde. Die andere hat er von seiner Mutter erhalten, als er 1955, kurz vor seinem neunten Geburtstag, die Sonntagsschule abschloss. Dann folgt seine erste Rede als Präsident.

Vor allem dürfe sie nicht zu lang sein, lange Monologe würden die Leute nur langweilen, hatten Berater des 70-Jährigen vor der Zeremonie wiedergegeben, was ihrem Chef durch den Kopf gegangen war. Man wolle die Ärmel hochkrempeln, eine kompakte Ansprache solle dies unterstreichen. Am Abend zuvor, bei einem Galadiner, hatte Trump noch gescherzt, selbst wenn es wie aus Kannen gieße, sei ihm das herzlich egal, dann sehe man wenigstens, dass er echtes Haar auf dem Kopf trage und keine Perücke. Davor, während eines Konzerts am Lincoln-Memorial, hatte er vom Spektakel der Amtseinführung geschwärmt: "Überall in der Welt reden sie darüber, überall".

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