Erfolge und Niederlagen der EU In Europa hängt noch vieles in der Luft

Brüssel · Die fünf vergangenen Jahre der EU zeigen: Erfolg und Scheitern lagen nah beieinander. Ein Rückblick vom Brexit bis zum Trinkhalm.

 So wie diese Europafahne vor dem Europäischen Parlament in Straßburg muss sich auch der europäische Kontinent, je nach Witterungsbedingungen, immer wieder neu ausrichten.

So wie diese Europafahne vor dem Europäischen Parlament in Straßburg muss sich auch der europäische Kontinent, je nach Witterungsbedingungen, immer wieder neu ausrichten.

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Der Morgen des 24. Juni 2016 gehört nunmehr zur europäischen Geschichte. Das bis dahin völlig Undenkbare war eingetreten: Die Mehrheit der britischen Bürger hatte sich für den Brexit ausgesprochen. Monatelang brauchten die Staats- und Regierungschefs der übrigen 27 Mitgliedstaaten, um sich wieder zu fangen. Der Tiefpunkt der vergangenen Legislaturperiode.

Doch es war nicht alles schlecht. Die Roaming-Gebühren wurden de facto abgeschafft. Das sogenannte Geoblocking, das Online-Shops nutzten, um inländische Kunden zu bevorzugen, ist Geschichte. Das längst unüberschaubar gewordene Kauderwelsch auf den bunten Aufkleber an Elektrogeräten, wo es Energieeffizienzklassen von A+++ bis E gab, wurde vor wenigen Wochen beseitigt. Und natürlich gelang es Europa auch, riskante Produkte zu Hunderten aus dem Handel zu nehmen, wenn sie verbotene Kleinteile, Farben oder Stoffe enthielten. Mehr noch: Zu den großen Fortschritten gehört zweifellos der Kampf gegen Kunststoffe. Erst wurden die Plastiktaschen in Geschäften aussortiert. Dann folgte das Verbot von Trinkhalmen aus Plastik, Einweggeschirr und -Besteck, Luftballon-Haltern und Wattestäbchen.

Auf der Pariser Klimakonferenz gehörte Europa zu den Vorreitern, die nur allzu gerne bereit waren, sich auf eine Erderwärmung von maximal zwei Grad (einige wollen sogar höchstens 1,5 Grad) festzulegen. In Brüssel ebnete man den Weg: Die Grenzwerte für Pkw wurden bis 2030 heruntergeschraubt, dann auch für Lkw – gegen den Widerstand der Auto-Industrie. Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die großen deutschen Hersteller offenbar seit 2007 viel getan haben, um ihre Fahrzeuge mit deutlich zu hohen Abgaswerten auf die Straße zu schicken. Brüssel zeigte sich schockiert, setzte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in Gang, die ermittelte, fündig wurde und wohl Milliardenstrafen ansetzen wird. Hinzu kam die Diskussion um den Feinstaub, den die EU-Staaten auf 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Atemluft festschrieben – was vielerorts überschritten wurde. Die Kommission löste Strafverfahren aus, Fahrverbote in Deutschland folgten. Doch: Die Mitgliedstaaten schaffen die selbst erlassenen Vorgaben in Sachen Klimaschutz durchweg nicht.

Im Osten formierte sich eine kleine Gruppe hartnäckiger Widerständler – vor allem nach der Flüchtlingskrise 2015. Unter der Last von fast einer Million Flüchtlingen brachen die Aufnahmestaaten zusammen. Deutschland öffnete seine Grenzen – und schloss sie anschließend wieder. Die Reisefreiheit wurde brüchig. In Brüssel legte die Kommission ihre Pläne vor, die unter anderem einen Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex auf 10 000 Mann bis Ende 2020 vorsahen. Doch ein gemeinsames Asylrecht scheiterte. Längst war die Atmosphäre zwischen der westlichen Union sowie den vier Oststaaten Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei vergiftet. Auch und vor allem wegen der Beschlüsse der Regierungen in Warschau und Budapest, die Presse- und Meinungsfreiheit abzuschaffen, die Unabhängigkeit der Justiz zu eliminieren und Richter zu Angestellten des Justizministers zu machen. Der Versuch der Kommission, mit einem Rechtsstaatsverfahren die demokratischen Grundwerte wieder herzustellen, scheiterte. Zumindest bis jetzt. Fortsetzung folgt in der nächsten Legislaturperiode. Denn das Strafverfahren ist so weit gediehen, das eigentlich nur noch ein letztes Mittel bleibt: der Entzug von Fördermitteln und das zeitweise Aussetzen des Stimmrechtes in wichtigen Ministerräten.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wollte eigentlich Millionen neuer Jobs schaffen, dafür eine Fördersumme von 300 Milliarden Euro (später 615 Milliarden) aktivieren. Tatsächlich fielen die ökonomischen Bilanzen der Mitgliedstaaten immer besser aus. Doch bei einem besonders populären Thema hatte sich der Luxemburger Kommissionschef vergriffen: bei der Umstellung der Uhren. Die Abschaffung der Zeitumstellung hatten sich 84 Prozent der Teilnehmer an einer Online-Befragung im Sommer 2018 gewünscht. Junckers viel zitierter Kommentar dazu: „Die Menschen wollen das. Wir machen das.“ Doch wieder bremsten die Mitgliedstaaten: Vor 2021 soll gar nichts passieren. Wie so oft in Europa: eine Hängepartie.

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