Ein Video zeigt schließlich die grausame Wahrheit

Den Haag · Fünf Polizisten drücken den Mann zu Boden, minutenlang. Wenig später stirbt er. Der Tod von Mitch Henriquez führte zu Krawallen in Den Haag. Musste er sterben, weil er farbig war? Doch Rassismus ist in den Niederlanden tabu.

Kaputte Schaufenster, ausgebrannte Bushaltestellen, die Straßen übersät mit Pflastersteinen: Das Viertel Schilderswijk in Den Haag bot gestern ein Bild der Verwüstung. Bis zum frühen Morgen hatten sich dort Hunderte Demonstranten Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Es war bereits die dritte Krawall-Nacht in Folge. Der Anlass war der Tod eines Mannes durch Polizeigewalt.

Die Politiker sind empört und entsetzt und fordern ein Ende der Unruhen. "Die Gewalt ist unakzeptabel", sagte Ministerpräsident Mark Rutte . Bürgermeister Jozias van Aartsen verhängte eine Notverordnung. Die Stimmung in Schilderswijk ist explosiv, viele fühlen sich an die Rassenunruhen in den USA erinnert. Und es gibt Parallelen.

Mitch Henriquez kam von der niederländischen Karibikinsel Aruba. Er war farbig. Am Samstag hatte er ein Festival in Den Haag besucht. Aus Spaß hatte er gerufen, so hatte seine Schwester später ausgesagt, dass er bewaffnet sei. Daraufhin hätten ihn die Polizisten überwältigt.

"Die Festnahme war gerechtfertigt", erklärte kurz darauf die Staatsanwaltschaft, auch wenn sich dann heraus stellte, dass Henriquez unbewaffnet war. "Später wurde ihm im Polizeiwagen schlecht." Der 42-Jährige sei dann am Sonntag im Krankenhaus aus ungeklärter Ursache gestorben. "Bedauerlich", erklärte die Staatsanwaltschaft. Doch das stimmte nicht. Wenig später tauchten im Internet Videos von Augenzeugen auf. Darauf war die grausame Wahrheit zu sehen.

Henriquez wurde von fünf Beamten überwältigt. Sie saßen auf seinem Kopf, seinem Rücken, seinen Beinen und hielten ihn minutenlang in der Zange. Als sie ihn dann in den Polizeiwagen hoben, bewegte er sich nicht mehr. Henriquez war erstickt, ergab die offizielle Untersuchung. Die fünf Beamten wurden suspendiert.

Doch da brannte die Lunte bereits im Pulverfass. "Das Unglück mit Henriquez war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte", erklärte Mourad Ouari, der Vorsitzende eines Bürgervereins. Mehr als 90 Prozent der Bewohner des Viertels sind Zuwanderer oder kommen aus den früheren niederländischen Kolonien Surinam und den Antillen in der Karibik. Viele fühlten sich diskriminiert, sagt Ouari. "Ihre Ausweise werden häufiger kontrolliert, ohne Grund. Autos werden angehalten, nur weil der Fahrer ein Türke, Marokkaner oder Antillianer ist."

Alltäglichen Rassismus beklagen viele. Zuwanderer haben den Eindruck, dass sie Bürger zweiter Klasse sind. Das erleben sie nicht nur auf dem Arbeitsmarkt und vor der Disco, sondern auch im Umgang mit Behörden und Polizei . Davon aber wollen die meisten Niederländer nichts wissen: Rassismus passt so gar nicht zum Bild der toleranten Niederlande. "Es gibt keinen Rassismus bei der Polizei ", hatte Bürgermeister van Aartsen nach dem Tod von Henriquez erklärt. Doch Ignorieren hilft nicht, hatte kürzlich ausgerechnet der Polizeichef Gerard Boumann gesagt und seine Truppe vor dem "schleichenden Gift der Ausgrenzung" gewarnt.

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