Ein Toter bei Anti-Terroreinsatz in Brüssel

Brüssel · In Brüssel ist gestern Nachmittag bei einer Razzia der belgischen Polizei ein Verdächtiger getötet worden. Die Ermittler hatten eine Wohnung in der Gemeinde Forest überprüft, die einem der Attentäter von Paris als Unterschlupf gedient haben könnte. Unbekannte hatten daraufhin sofort das Feuer auf die Beamten eröffnet. Vier Polizisten wurden dabei verletzt.

Es ist 15 Uhr an diesem Dienstagnachmittag, als das Schreckgespenst des Terrors wieder in Brüssel lebendig wird. Dabei wollten die Spezial-Einsatzkräfte der belgischen Polizei in der Gemeinde Forest eigentlich nur eine leerstehende Wohnung überprüfen. "Es gab Hinweise, sie könnte von einem der Pariser Attentäter als Unterschlupf angemietet worden sein", berichtet Eric Van der Sypt, der Sprecher der Staatsanwaltschaft, am späten Abend.

Doch als die Beamten gegen 15 Uhr die Wohnung in der Rue du Dries öffnen wollen, werden sie durch die geschlossene Tür beschossen. "Die haben einfach losgeballert", erzählt ein schockierter Fahnder. Vier seiner Kollegen werden verletzt und sofort ins Hospital gebracht. Einer soll schwer getroffen worden sein. Es ist nur der Beginn. Fast 20 Minuten lang liefern sich Beamte und Verdächtige eine filmreife Schießerei - mitten in einem Wohnviertel.

Ein Kindergarten und zwei Schulen in der Nachbarschaft werden sofort geschlossen, die Kinder dürfen nicht nach Hause. Die Beschäftigten des unmittelbar angrenzenden Audi-Werkes können das Betriebsgelände nicht verlassen. Niemand spricht es aus, aber einige hier denken das Unvorstellbare: In der Vorwoche besuchte Bundespräsident Gauck im Rahmen seines Staatsbesuches das Werk mit dem belgischen Königspaar. "Wir sehen keinen Zusammenhang", betont ein Vertreter der Staatsanwaltschaft. Aber ausschließen will er ihn auch nicht.

Dass an diesem Nachmittag in der kleinen Gemeinde mehr als nur ein normaler Anti-Terror-Einsatz stattfindet, liegt allerdings auf der Hand. Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve und sein belgischer Amtskollege Jan Jambon hätten die Aktion abgesegnet, wird betont. Es gebe Verbindungen zu der Szene, aus der auch die islamistischen Extremisten kommen, die in Paris zugeschlagen haben. Gegen 18 Uhr fallen erneut Schüsse. Nachbarn beobachten, wie ein Mann durch ein Fenster klettert und über Dächer flüchtet. Ein Polizei-Hubschrauber nimmt die Verfolgung auf. Später stellt sich heraus, dass zumindest einer der Männer, die sich in der Wohnung aufhielten, ums Leben gekommen ist. Der viel gesuchte 26-jährige Salah Abdeslam, der als einer der Hauptverantwortlichen für die Pariser Anschläge gilt, war es nicht, teilen die Behörden mit.

Im Schutz der Dämmerung beginnt die Polizei , die Schulen und den Kindergarten zu räumen. "Ich habe so gehofft, das wäre endlich vorbei", sagt eine Nachbarin, die ihre Wohnung verlassen musste und nun auf diesen Aufmarsch schwer bewaffneter Soldaten und Polizisten schaut, die zwischen gepanzerten Wagen hin und her laufen. "Wir haben die Verfolgung aufgenommen", betont ein Polizeisprecher später. "Es ist mindestens ein Täter auf der Flucht. Es können auch zwei sein."

Brüssel hat im November und Dezember tagelang ohne Metro, mit geschlossenen Schulen und einer hermetisch abgeriegelten City auskommen müssen, weil die Regierung die höchste Terrorwarnstufe vier ausgerufen hatte, nach der ein Anschlag unmittelbar bevorstehe. "Es ist zu früh, jetzt darüber nachzudenken", sagt Innenminister Jambon auf die Frage, ob das wieder bevorstehen könnte. Zumal noch unklar ist, um wen es sich bei den Verdächtigen gehandelt haben könnte. Belgien und Frankreich suchen vor allem noch Abdeslam. Ob auch er in dieser Wohnung in der Gemeinde Forest war? Die Ermittler wissen es nicht. Oder sie schweigen. Muss Brüssel wieder mit der Terrorangst leben?

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