Ein Stück Heimat für zu Hause

Saarbrücken · Der Ludwigspark, Kultstätte des Saar-Fußballs, wird für Millionen saniert. Am Wochenende hatten alle Fans die große Chance, eine handfeste Erinnerung an das Stadion zu ersteigern.

Jedes Mal, wenn Frank Kraemer überboten wird, kneift er für einen Sekundenbruchteil die Augen zusammen. Fast trotzig hebt er doch immer wieder seinen Arm, um sein Gebot zu erhöhen. So scheint er in dem kurzen Moment, in dem seine Augen geschlossen sind, einen schier endlosen Kampf in sich auszutragen. Leidenschaft gegen Vernunft: Muss ich wirklich noch höher bieten? Soll ich noch höher bieten? Für dieses F-Block-Schild? Viel Zeit zum Nachdenken bleibt ihm nicht, dann ist er erneut überboten und spürt wieder diesen Nadelstich und legt wieder seine Stirn in tiefe Falten.

Unzählige dieser kleinen Kämpfe trägt Kraemer in diesen wenigen Minuten aus. Doch mit jeder neuen Hundert-Euro-Marke springen die Bieter am Samstagnachmittag bei der Versteigerung im Ludwigspark ab. Am Ende bleiben nur noch er und eine Hand weiter hinten, die aber in dem Pulk aus etwa 150 Menschen unter der Gegentribüne des Stadions niemandem zuzuordnen ist. Bis Frank Kraemer bei 700 Euro das erlösende "zum Dritten" vernimmt und das Schild aus dem F-Block mit nach Hause nehmen kann.

"Seit 40 Jahren komme ich hier ins Stadion", sagt der Saarbrücker danach glücklich. "Nur wegen dieses Schildes bin ich hier. Aber ich wäre auch noch höher gegangen." Wie hoch, vermag er selbst nicht zu sagen, doch schon die Tatsache, dass der 51-Jährige 2000 Euro in seiner Hosentasche hat, verrät, wie wichtig ihm dieses Schild ist. Dass es nicht nur ein Stück Stadiongeschichte ist, sondern dass dieses Schild zahllose Erinnerungen in ihm weckt - gute wie schlechte, schöne wie traurige. Mit diesem Schild sichert er sich, wie viele andere auch, noch ein letztes Souvenir, bevor das Stadion umgebaut wird.

Etwas weniger, aber immer noch satte 500 Euro ist Adi Fazlic das Schild aus dem D-Block wert. Er schockiert seine Mitbieter, indem er das Gebot von 250 Euro auf 500 Euro verdoppelt. Nur, um das Schild später seinem Freund Rainer Fisch zu schenken. "Ich kenne ihn schon so lange und weiß, was es ihm bedeutet", sagt Fazlic. Etwas einfacher macht es sich Patrick Kessler, der sich kurzerhand eine Sitzplatznummer von den Bänken schraubt. Ohne dafür zu bezahlen. Es ist eine günstige Möglichkeit, sich ein Erinnerungsstück mitzunehmen. Die Idee findet viele Nachahmer.

Für Frank Weiß, Christoph Becker und ihre Freunde sollte es eigentlich nur ihre liebgewonnene Sitzreihe aus all den Jahren im Park sein. Die, auf der die Dauerkartenbesitzer immer saßen oder vielmehr standen, haben sie nicht ergattern können, immerhin aber eine andere. Nun kommt spontan noch ein Schild mit ins Clubheim nach Klarenthal.

Die spannende Frage wiederum, wer sich denn einen sogenannten Wellenbrecher aus dem Stehblock mit nach Hause nehmen würde, beantwortet Sascha Priesnietz: "Wir bauen gerade. Für mich passt das perfekt." Das Stahlgerüst findet im Garten neben dem Schwenker einen Ehrenplatz. Wenige Meter weiter seine zweite Trophäe. Sein Gartenhäuschen schmückt von nun an die blaue Tür der Gästekabine.

Auf etwa 8000 Euro schätzt FCS-Vizepräsident Florian Kern den Erlös der Versteigerung der Ludwigspark-Trophäen: Schilder aller Art, Fenster, Lautsprecher, Büro- und WC-Türen oder Werbetafeln. Dinge, die wie die Schilder der Fanblöcke vereinzelt hohe Preise erzielen. "Aber Preise um 500 und 700 Euro, das ist schon ein Brett", sagt Jörg Rodenbüsch vom Förderverein Innwurf. Es sind Beträge, mit denen er nicht gerechnet hatte, mit denen "man aber schon einen Ideenwettbewerb starten kann". Denn der Erlös aus der Versteigerung soll in Fanprojekte zurückfließen. "Es soll etwas von Fans für Fans entstehen. Das steht im Mittelpunkt. Deshalb ist das auch okay", sagt Rodenbüsch, "sonst hätte ich bei den Beträgen echt Bauchschmerzen." So aber könnten die Fans ihre Leidenschaft leben und etwas mitnehmen.

Doch was dem einen die Jagd nach einem Souvenir, ist für den anderen die letzte Chance, den Ludwigspark noch einmal in seiner altehrwürdigen Schönheit zu sehen. So sieht man auch viele abseits vom Trubel. Wie Klaus Ehses, der den Blick mit ein "bisschen Wehmut" durch das Stadion schweifen lässt und still für sich in Erinnerungen schwelgt.

Oder Carlos Groß, der auch beim F-Block-Schild mitsteigern wollte und den es stattdessen in "seine" Kurve zieht. In sich gekehrt geht er über den Rasen, nimmt jede Stufe im F-Block so bedächtig, als wolle er sich jeden einzelnen Schritt einprägen. "Ich kenn viele Fußballfans, die aus ganz Deutschland angereist sind, weil wir noch so ein Stadion hatten", erzählt er. Alle seien begeistert gewesen, "weil es hier noch nach Fußball gerochen hat". Betroffen sieht er sich in seinem F-Block um, der mit dem Schmutz, Müll und den heruntergefallenen Ästen eher einer Bauruine gleicht. "Das hier war immer meine Heimat ", erzählt er, hier stand er auch im strömenden Regen gegen den HSV, im April 1977, als sein FC einen 0:2-Rückstand drehte und 3:2 gewann. Nur eine von vielen Erinnerungen. "Die bleiben", sagt Groß. Die bleiben auch ohne Schild, ohne Tür und ohne Wellenbrecher.

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