Ein Problemstaat an der Spitze Europas

Nikosia

Nikosia. Zypern hat gestern die EU-Ratspräsidentschaft übernommen - und obwohl das kleine Land vor riesigen Herausforderungen steht, hängt der Inselstaat die Europa-Messlatte hoch: "Wir wollen nicht nur beweisen, dass wir ein Großereignis ausrichten können, sondern dass Zypern die Aufgabe so gut meistern kann wie jedes andere europäische Land", sagte Präsidentschaftssprecher Kostas Giennaris. Ob Zypern den Anspruch erfüllen kann, muss sich zeigen, denn bei vielen Fragen ist der Mittelmeerstaat eher Teil des Problems als der Lösung.Düster sieht es für Nikosia derzeit vor allem in finanzieller Hinsicht aus. Erst vor wenigen Tagen erklärte sich die Eurozone dazu bereit, Zypern als fünftem Euroland Finanzhilfe zu gewähren. Das Land befindet sich nun in Gesellschaft der Krisenstaaten Griechenland, Spanien, Portugal und Irland. Auf bis zu zehn Milliarden Euro schätzen Experten den Bedarf an Finanzhilfen.

Die seit 38 Jahren in einen griechischen Süden und einen türkischen Norden geteilte Insel steht zudem im Mittelpunkt des Konflikts um einen EU-Beitritt der Türkei. Den im Jahr 1974 von der Türkei besetzten Norden erkennt nur Ankara an, zur Republik Zypern im Süden pflegt die Türkei keine Beziehungen. Alle Versuche, die Insel wieder zu einen, scheiterten bisher. Ankara hat klargemacht, dass es die zyprische Ratspräsidentschaft boykottieren wird. Die ohnehin vor allem wegen der Zypern-Frage seit Juni 2010 auf Eis liegenden Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei werden bis Jahresende also keine neuen Impulse bekommen.

Mit ihren knapp 840 000 Einwohnern übernimmt die Republik Zypern die sechsmonatige Ratspräsidentschaft zum ersten Mal seit ihrem EU-Beitritt im Jahr 2004. Dies ist schon ohne Konflikt mit der Türkei und prekäre Finanzlage eine anspruchsvolle Aufgabe: Im kommenden Halbjahr sollen die harten Verhandlungen um das EU-Budget für die Jahre 2014 bis 2020 entscheidend vorankommen - dabei geht es um eine Billion Euro, deren Verteilung zwischen armen und reichen Ländern heftig umstritten ist. EU-Diplomaten bezweifelten wiederholt, dass Zypern hier einen Durchbruch schafft, doch ein Vertreter des Landes gibt sich selbstbewusst: "Unser Ziel ist eine Grundsatzeinigung beim EU-Gipfel im Oktober, um das Thema bis zum Jahresende abzuschließen." afp

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