Ein Papier mit Zündstoff

München · Angriffe auf die Kanzlerin sind in der CSU derzeit verboten, der Schein muss gewahrt werden. Doch setzt Parteichef Seehofer Merkel mit einem provokanten Papier unter Druck – Kritik verboten, Daumenschraube erlaubt.

Beim bevorstehenden CSU-Parteitag in München muss sich Angela Merkel auf einen Auftritt im Druckbehälter gefasst machen. Zwar will die CSU-Spitze die Form wahren und die Kanzlerin höflich begrüßen. "Wir sind anständige Gastgeber", sagt Parteichef Horst Seehofer gestern nach Teilnehmerangaben bei der Vorstandssitzung in München .

Der Zündstoff ist aber in einem harmlos betitelten Papier versteckt, das Seehofer unmittelbar vor Merkels Gastrede beschließen lassen will. "Deutschland braucht das starke Bayern", heißt der Leitantrag zur Flüchtlingspolitik . Darin findet sich starker Tobak für Merkel: eine deutsche Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen im nächsten Jahr - einseitig von der Bundesregierung erklärt. Das ist genau das, was Merkel bislang ablehnt.

Die Kanzlerin hält nur europaweite Kontingente für möglich, wie sie gleichzeitig beim G20-Gipfel in der Türkei deutlich macht.

Doch die CSU will wieder einmal schneller sein: "Deutschland muss jetzt ein Signal aussenden, dass unsere Kapazitätsgrenzen bereits erreicht sind", verlangen Seehofer und Kollegen. "Deshalb soll Deutschland für nächstes Jahr ein Kontingent für Bürgerkriegs-Flüchtlinge entsprechend seiner leistbaren Kapazitäten festlegen." Eine Zahl nennt die CSU nicht, doch ist klar, dass es weniger werden sollen. Ein rechtliches Problem sieht die CSU-Spitze nicht: Es gebe keinen internationalen Vertrag, der Deutschland oder irgendeinen anderen Staat verpflichten würde, unbegrenzt Kriegsflüchtlinge aufzunehmen

Seitens der CSU-Parteitagsregie wird Merkel zu einer öffentlichen Stellungnahme quasi gezwungen: Denn zuerst sollen am kommenden Freitag die gut 1000 CSU-Delegierten den Leitantrag beschließen. Das werden sie voraussichtlich mit überwältigender Mehrheit tun. Erst anschließend steht Merkels Gastrede auf der Tagesordnung.

Sollte die Kanzlerin den Leitantrag ignorieren, würde das bei den CSU-Delegierten nicht gut ankommen. Sollte sie ihm widersprechen, käme das einem öffentlichen Zerwürfnis auf großer Bühne gleich. Widerspricht sie nicht, kann Seehofer die Kanzlerin vereinnahmen und erklären, dass Merkel in München der CSU-Position ja nicht widersprochen habe. In den vergangenen Jahren absolvierte Merkel ihre Gastauftritte bei der CSU häufig mit belanglosen Schmeicheleien - am kommenden Freitag wird das nicht ausreichen. Rund 1000 Delegierte sowie mehrere 100 Gäste und Journalisten werden gespannt warten, wie Merkel auf die christsoziale Herausforderung reagiert.

Vorerst will Seehofer den Schein wahren, damit CDU und CSU vor dem Parteitag keinen zerstrittenen Eindruck machen. Deshalb ist die offene Kritik an Merkel, die vor zwei Wochen noch erlaubt war, derzeit streng verboten. Aus der Reihe tanzte am Wochenende der Finanzminister und potenzielle Seehofer-Nachfolger Markus Söder (CSU ). Der musste sich gestern in der Vorstandssitzung scharfe Kritik seiner Vorstandskollegen anhören, auch wenn niemand Söder beim Namen nennt.

Am Wochenende brachte Söder die Flüchtlingspolitik der offenen Grenzen und die Pariser Terroranschläge in Zusammenhang - und forderte von Merkel in der "Welt am Sonntag" das öffentliche Eingeständnis, die Öffnung sei ein Fehler gewesen.

Zum Thema:

HintergrundDer Flüchtlingszustrom von den griechischen Inseln der Ostägäis zum griechischen Festland dauert an. An Bord von drei Fähren sind gestern Morgen gut 4800 Migranten und Flüchtlinge im Hafen von Piräus angekommen. Dies teilte die Küstenwache mit. Fast alle wollten weiter nach Westeuropa, berichteten Reporter, die Flüchtlinge befragten. In den ersten zehn Monaten des Jahres sind mehr als 600 000 Migranten aus der Türkei nach Griechenland gekommen. In ihrer Mehrheit stammen sie aus Syrien. dpa

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