„Ein niederträchtiges Urteil“

Moskau · Die russische Justiz verurteilt den populären Putin-Gegner Nawalny zu einer weiteren Bewährungsstrafe. Sein ebenfalls angeklagter Bruder muss ins Gefängnis. Nach seiner Verurteilung wurde Nawalny bei einem Verstoß gegen seinen Hausarrest festgenommen.

Ein schlimmeres Urteil hätte sich Alexej Nawalny als Russlands bedeutender Gegner von Kremlchef Wladimir Putin kaum vorstellen können. Nicht er, der 38 Jahre alte Oppositionelle mit Ambitionen auf das Präsidentenamt, muss wegen Veruntreuung ins Gefängnis, sondern sein Bruder Oleg. "Schämen Sie sich nicht? Wofür lassen Sie ihn einsitzen? Um mich noch mehr zu bestrafen?", ruft Nawalny in Moskau vor Gericht der Richterin Jelena Korobtschenko entgegen. Es sei das "niederträchtigste" aller denkbaren Urteile.

Nawalnys Ziel, 2018 gegen Putin bei der Wahl zum Kremlchef anzutreten, ist damit noch unwahrscheinlicher als ohnehin schon. Für den populären Anti-Korruptionskämpfer, der bereits in einem anderen Untreueprozess zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde, ändert sich zunächst zwar nichts an seiner Lage. Der Familienvater sitzt seit Februar 2014 in Hausarrest und bleibt dort.

Nawalnys Bruder Oleg - beide waren in der Vergangenheit auch als Unternehmer tätig - wurde aber noch im Gerichtssaal festgenommen. Anders als für Alexej setzte Richterin Korobtschenko in dem Wirtschaftsverfahren die Strafe von dreieinhalb Jahren nicht zur Bewährung aus. Die Verteidigung legte umgehend Berufung gegen das Urteil ein.

Den Gebrüdern Nawalny wird vorgeworfen, zwei Unternehmen um insgesamt mehr als 30 Millionen Rubel (430 000 Euro) betrogen und das Geld anschließend über ein Geflecht von Firmen "gewaschen" zu haben. Die Richterin Elena Korobtschenko verurteilte die Brüder zudem zu einer Geldstrafe von je 500 000 Rubel (etwa 7100 Euro) sowie zu einer Entschädigungszahlung von 4 Millionen Rubel (57 000 Euro).

Die Brüder argumentieren, der Prozess sei politisch motiviert. Auch die Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinkigruppe kritisierte das Urteil. "Es gab weder für eine Bewährungs- noch für eine lange Haftstrafe eine Grundlage. Der gesamte Prozess ist politisch", sagte sie.

Schon seit Jahren enthüllt Nawalny zum Ärger von Russlands Mächtigen Schmiergeldzahlungen und Vetternwirtschaft auf staatlichen Ebenen. Er macht auch die Veruntreuung öffentlicher Gelder publik, an denen sich Funktionäre bereichern. Doch wer solche Verbrechen aufdeckt und sich mit dem Mächtigen anlegt, lebt traditionell gefährlich in Russland. Nawalny gehört zu den wenigen, die in der Rohstoffmacht versuchen, Licht in die undurchsichtigen Milliardengeschäfte im Staatssektor zu bringen.

Zumindest bisher zeigte sich Nawalny trotz des Drucks unerschrocken. Das zeigte er auch nach dem Urteil, als er trotz seines Hausarrests eine spontane Kundgebung seiner Anhänger besuchen wollte. Die Polizei nahm Nawalny fest, noch bevor er sein Ziel erreichen konnte. Danach wurden mehr als 170 Demonstranten abgeführt.

Dass nun sein Bruder zur "Geisel des Regimes" wird, wie die Opposition es formuliert, erinnert viele in Moskau an finstere Sowjetzeiten, als der KGB Angst und Schrecken verbreitete. Für die ohnehin geschwächte Opposition gilt das Urteil als neuer Schlag. Immerhin hoffen Putins Gegner angesichts der Wirtschaftskrise auf Aufwind 2015.

Meinung:

Zu Recht nervös

Von SZ-MitarbeiterRobert Kalimullin

Aller gegenteiligen Meinungen zum Trotz: Die jahrelange Schwäche der russischen Opposition ist nicht allein auf die Unterdrückung durch einen autoritären Präsidenten zurückzuführen.

W ladimir Putins Stärke war immer auch Spiegelbild der Schwäche der russischen Gesellschaft. Das bedeutet aber auch: Wenn der in einem klar politisch motivierten Prozess verurteilte Alexej Nawalny aus seinem Moskauer Hausarrest zu Putins gefürchtetstem innenpolitischen Gegner aufsteigen konnte, dann waren es vor allem die politischen Fehler des Präsidenten, die der Opposition zur Konsolidierung verhalfen. Angesichts der auf die Krim-Euphorie gefolgten wirtschaftlichen Katerstimmung haben Russlands Machthaber derzeit durchaus Grund, nervös zu sein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort