Ein kleines Wort, große Emotionen

Berlin · Nur eine Gegenstimme gab es gestern bei der Abstimmung um die Armenien-Resolution. Direkt im Anschluss zog die Türkei ihren Botschafter ab. Bundeskanzlerin Merkel war nicht vor Ort.

Der Bundestag ist an diesem Donnerstag von der Polizei abgeriegelt wie noch nie vor einer Abstimmung. Direkt davor steht nur eine kleine Gruppe mit griechischen und armenischen Fahnen. Was sie hier machen? "Gegen die Türken, für die Armenier", ist die knappe Antwort. Die Türken haben schon am Vortag am Brandenburger Tor demonstriert. "Ein Parlament ist kein Gericht", lautete ihre Losung.

Der Tod von 1,5 Millionen Armeniern vor 101 Jahren ist nicht gesühnt und nicht vergessen. Aber war es "Völkermord "? Als die Resolution, die dieses Wort enthält, nach einer Stunde Debatte beschlossen ist - bei nur einer Gegenstimme - entfalten rund 30 Armenier auf der Ehrentribüne alle gleichzeitig eine weißes Papier: "Danke" steht darauf. Eine ältere Dame weint hemmungslos.

Minu Nikpay (69) kommt aus Köln. Sie erinnert sich, dass ihr Großvater, der die Massaker überlebt hat, oft geweint hat. Aber nie reden wollte. Und dass die Türken immer "wie die Herrenmenschen" reagiert hätten, wenn man sie auf das Geschehen ansprach. "Dieser Beschluss", sagt Nikpay, "löst das alles endlich auf". Auch ein paar Vertreter der türkischen Botschaft sind da. Sie verlassen stumm die Tribüne. Die Türkei hat im Vorfeld enormen Druck gemacht. Bis hoch zu Präsident Erdogan hat Ankara täglich drohender interveniert. Ein "Missbrauch der Ereignisse" sei die Bundestagsresolution, erklärt das türkische Parlament noch am Morgen. Aber die drei Fraktionen, die die Resolution eingebracht haben, CDU , SPD und Grüne, haben sich nicht beirren lassen. Die Linken hätten auch mitgemacht, doch die Union verweigert prinzipiell gemeinsame Anträge mit ihnen. Kanzlerin Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Vizekanzler Sigmar Gabriel bleiben der Abstimmung fern, haben andere Termine. Der Ärger mit Ankara wird trotzdem kommen, zumal bekannt ist, dass Merkel am Dienstag in der Unionsfraktion für die Resolution gestimmt hat.

Eine Stunde nach der Abstimmung wird der türkische Botschafter aus Berlin abgezogen. Das ist mittlere Eskalationsstufe. Dabei beschwören alle Redner, dass sie den Konflikt mit der Türkei nicht wollen, dass sie nicht auf Erdogan zielen. "Die heutige Regierung in Ankara ist nicht verantwortlich für das, was war", sagt zu Beginn Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU ). "Aber sie ist verantwortlich für das, was in Zukunft daraus wird." Der Bundestag sei kein Gericht, aber Deutschland sei als wichtigster Verbündeter des osmanischen Reiches mitverantwortlich gewesen und habe das Recht und die Pflicht, sich diesem unbequemen Thema zu stellen. Die Resolution ist nicht wie ein Gerichtsurteil formuliert. Sie sagt nicht explizit "Das war Völkermord ", sondern benutzt den Begriff als Wiederholung des Satzes, den Bundespräsident Joachim Gauck 2015 formuliert hat: "Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist".

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