Ein Jahr NSU-Affäre: Neue Vorwürfe"Weit übers Ziel hinausgeschossen"

Berlin. Ein Jahr nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle NSU sieht Innenminister Hans-Peter Friedrich Bund und Länder bei der Aufarbeitung der Mordserie in der Pflicht

Berlin. Ein Jahr nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle NSU sieht Innenminister Hans-Peter Friedrich Bund und Länder bei der Aufarbeitung der Mordserie in der Pflicht. "Zusammen mit den Ländern sind wir dabei, Lösungen für einen besseren Informationsaustausch und eine bessere Koordination der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden zu suchen", erklärte der CSU-Politiker am Wochenende.Bundesweit gingen gestern Nachmittag hunderte Menschen gegen Rassismus und Rechtsextremismus auf die Straße. Die Demonstranten fordern eine Auflösung des Verfassungsschutzes, dem sie Versagen bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen vorwerfen.

Das Magazin "Der Spiegel" machte derweil neue Vorwürfe bekannt, wonach der Verfassungsschutz in den 90er Jahren schützend seine Hand über straffällig gewordene V-Leute aus der rechten Szene gehalten haben soll. In einer als geheim eingestuften Analyse des Bundeskriminalamts (BKA) von 1997 bezichtigte das BKA die Verfassungsschützer, V-Leute vor Durchsuchungen zu warnen und wichtige Informationen erst so spät an die Polizei weiterzugeben, dass rechte Aktionen nicht mehr verhindert werden könnten. Informanten würden für ihre Straftaten oft weder angeklagt noch verurteilt. Viele seien "überzeugte Rechtsextremisten".

Am 4. November 2011 hatten sich die Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Thüringen erschossen. Ihre mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe stellte sich vier Tage später der Polizei. Dem jahrelang in Sachsen untergetauchten Trio namens "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) werden zehn Morde an Ausländern zur Last gelegt. Die Ermittlungspannen beschäftigen mehrere Untersuchungsausschüsse.

Die Linke-Abgeordnete Petra Pau forderte einen vollständigen Verzicht auf Verbindungsleute. Verfassungsschutzpräsident Maaßen sagte der "Welt am Sonntag", nur durch den Einsatz von V-Leuten könne seine Behörde "Einblicke in extremistische Milieus" gewinnen. "Menschliche Quellen sind und bleiben unverzichtbar." Er plädierte aber für ein Zentralregister: "Ein zentrales Wissen ist unabdingbar, um die jeweiligen V-Leute des Bundes und der Landesbehörden für Verfassungsschutz wirksam steuern zu können." Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) forderte als Konsequenz aus der NSU-Affäre neue Regeln für den Umgang mit Geheimdienst-Akten. "Es kann nicht sein, dass zwischen dem MAD, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesämtern nicht klar ist, wer welche Informationen hat und wer was wann löschen muss."

Foto: dapd

Wie glaubhaft sind die Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz?

Hartmann: Beim Verfassungsschutz besteht immer die Sorge, dass V-Leute, die der Polizei gemeldet werden, damit praktisch enttarnt und "verbrannt" sind. Ich kenne die neuen Informationen noch nicht im Detail, aber der erste Eindruck bestätigt verschiedene Hinweise aus den letzten Wochen und Monaten, wonach der Verfassungsschutz bei der Informationsgewinnung durch V-Leute weit über das Ziel hinausgeschossen ist.

Wäre es nicht am Besten, alle V-Leute in der braunen Szene abzuschalten?

Hartmann: Nein. Kein Nachrichtendienst der Welt kommt ohne Informationen von Spitzeln aus. Wir müssen aber genau prüfen, wo V-Leute eingesetzt werden sollen und wo nicht, wer sie überwachen, anwerben und wer sie abschalten soll. Hier liegen die Schwachstellen, weil es dafür keine bundeseinheitlich abgestimmten Kriterien gibt. Man kann sich nur wundern, warum der Bundesinnenminister noch keine Initiative ergriffen hat, dieses Manko zu beheben. Immerhin hat er dazu ein Jahr Zeit gehabt.

Verfassungsschutzpräsident Maaßen schlägt ein V-Leute-Register vor. Eine gute Idee?

Hartmann: Der Verfassungsschutzpräsident greift hier eine Idee auf, die die SPD bereits vor einigen Monaten vorgestellt hat. Eine solche Datei ist überfällig. So lange Personen von verschiedenen Landesverfassungsschutzämtern geführt werden, aber nichts voneinander wissen, oder das Bundesamt für Verfassungsschutz keine Ahnung hat, was in den Ländern vorgeht, kann es keine effiziente Bekämpfung des Rechtsextremismus geben.

Das vollständige Interview lesen Sie auf www.saarbruecker-zeitung.de/interviews/

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