Ein europäischer Tag der deutschen Einheit

War das nun der Tag der Deutschen Einheit oder sozusagen der Tag der Europäischen Einheit? Vor allem letzteres, konnte man gestern in München meinen. Vor 1500 geladenen Gästen in der Staatsoper würdigt der Festredner, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), beim offiziellen Festakt nämlich nicht nur die historische Bedeutung der Deutschen Einheit

War das nun der Tag der Deutschen Einheit oder sozusagen der Tag der Europäischen Einheit? Vor allem letzteres, konnte man gestern in München meinen. Vor 1500 geladenen Gästen in der Staatsoper würdigt der Festredner, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), beim offiziellen Festakt nämlich nicht nur die historische Bedeutung der Deutschen Einheit. Nein, Lammert richtet einen eindringlichen, einen flammenden Appell an die versammelten Spitzenpolitiker in den ersten Reihen: einen Appell für mehr Europa. Und nicht nur Lammert: Auch zwei Bischöfe tun es ihm gleich.

Denn während Europa weiter mit aller Kraft gegen die Schuldenkrise ankämpfen muss, fordert Lammert ein noch engeres Zusammenwachsen der Staaten und Völker. "Die Weiterentwicklung Europas liegt im deutschen Interesse. Das ist im Allgemeinen kaum umstritten, im Alltag aber durchaus nicht immer präsent", betont der CDU-Mann. Und warnt gleichzeitig davor, im Kampf gegen die Schuldenkrise in eine "Rivalität von Nationalstaaten" zurückzufallen. Wohl wissend, dass in der Partei von Gastgeber Horst Seehofer (CSU) durchaus schon harsche Töne zu vernehmen waren, wie man etwa mit Griechenland in Zukunft umgehen solle ("Exempel statuieren"). Norbert Lammert mahnt deshalb: "Im Kampf um die Solidität der Finanzen darf die Solidarität nicht unter die Räder geraten."

Doch auch Lammert weiß, dass das alles nicht so einfach ist. "Sicher, wer heute Meldungen über Europa verfolgt, muss den Eindruck gewinnen: Es geht meist um Geld, scheinbar nur um Geld, jedenfalls immer wieder um immer mehr Geld, um Schulden und ihre Tilgung, um Schuldenschnitte und ihren Umfang", räumt er ein. "Und es geht um immer wieder neue, endlose, schwierige, lästige Verhandlungen, die - kaum beendet - mit erhöhtem Einsatz wieder aufgenommen werden müssen."

An der Stelle blickt Lammert zu Merkel in Reihe eins und sagt: "Die Bundeskanzlerin verfolgt das mit einem milden Lächeln - was ich mit besonderer Beruhigung registriere."

Auch Seehofer, als amtierender Bundesratspräsident Gastgeber der diesjährigen Einheits-Feierlichkeiten, gibt sich am Mittwoch sehr europäisch. "Deutschland ist ein wunderbares Land und gemeinsam mit unseren Freuden haben wir alle Chancen auf eine blühende Zukunft", sagt er in seiner Rede in der Staatsoper.

Und sogar den beiden Geistlichen, die bereits am Morgen den ökumenischen Gottesdienst in der Kirche St. Michael leiten, geht es vor allem um Europa. "Wir sind nicht alleine als Deutsche unterwegs, sondern wir sind unterwegs als Europäer", sagt Kardinal Reinhard Marx und betont: "Unser geeintes Land in Europa ist Gabe und Aufgabe." Und auch der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm warnt vor deutscher Überheblichkeit. Wobei er mit Blick auf die Politik und die Euro-Rettungspakete süffisant ergänzt: "Bei Ihnen hat das Wort "alternativlos" eine bemerkenswerte Begriffskarriere durchlebt."

Die Menschen draußen auf den Straßen bekommen vom Gottesdienst und den Festreden allerdings wenig mit. Hunderttausende sind es, die die Deutsche Einheit in München feiern. Es gibt ein buntes Bürgerfest, Trachtenvereine und Gebirgsschützen marschieren auf. "Herzlichen Dank, Bayern, für den großartigen Empfang, den Sie Deutschland heute bereitet haben", sagt Bundespräsident Joachim Gauck, als er nach dem Festakt gemeinsam mit Merkel, Seehofer & Co. vor die Staatsoper tritt und sich die Vorführung von 16 deutschen Trachtengruppen anschaut.

Die Europahymne, das "Freude schöner Götterfunken" von Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper zum Abschluss des Festakts, ist da gerade verklungen. Lammert wird nun mitverfolgen können, ob der "europäische Funke" seiner Rede tatsächlich übergesprungen ist.

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