Ein Autogigant tritt ab

Martin Winterkorn tritt als Vorstandschef von Europas größtem Autobauer Volkswagen zurück. Das gab der Konzern nach einer Krisensitzung der obersten Aufseher in Wolfsburg bekannt. Der 68-Jährige war durch den Abgas-Skandal in den USA in Bedrängnis gekommen.

Die Ära Martin Winterkorn bei Volkswagen ist vorbei. "Volkswagen braucht einen Neuanfang - auch personell. Mit meinem Rücktritt mache ich den Weg dafür frei", lässt sich der 68-Jährige am Mittwoch pünktlich zum Börsenschluss in Frankfurt von der Kommunikationsabteilung des Wolfsburger Autobauers zitieren. Damit erreicht die Abgas-Krise nicht nur einen Höhepunkt. Zugleich endet um Punkt 17 Uhr die achtjährige Amtszeit des Managers an der VW-Spitze, die bislang nur eine Richtung kannte: steil bergauf.

Ruhe tritt deshalb rund um die Zentrale des Weltkonzerns aber nicht ein. Für die Aufsichtsratssitzung morgen kündigte das mächtige Präsidium Vorschläge für die Nachfolge an. "Um irgendwelchen Spekulationen vorzubeugen oder vorzugreifen, möchte ich festhalten, dass Vorschläge zur personellen Neubesetzung erst am Freitag in dieser Woche im Aufsichtsrat beraten werden", sagt Berthold Huber , der Interims-Präsidiumschef, mit aufgekratzter Stimme. Danach werde die Öffentlichkeit über die "Gedanken und Überlegungen" informiert.

Hubers Wunsch dürfte aber kaum Gehör in den Medien finden. Seit Tagen kursieren Kandidaten fürs Erbe des bisher bestbezahlten Dax-Managers in den Nachrichten. Namen wie Audi-Chef Rupert Stadler , VW-Markenchef Herbert Diess und Lkw-Chef Andreas Renschler machen die Runde. Auch Porsche-Chef Matthias Müller werden von Insidern Chancen eingeräumt. Letzterer war Wunschkandidat des längst geschassten VW-Patriarchen Ferdinand Piëch , der Winterkorn ersetzt sehen wollte.

Dessen unrühmliches Karriereende hatte sich nicht erst an diesem Mittwoch angedeutet. Nach seiner öffentlichen Entschuldigung am Dienstag per Videobotschaft waren Schulterklopfer oder demonstrative Rückendeckungen aus dem fünfköpfigen Präsidium ebenso Fehlanzeige wie von anderen einflussreichen Personen. Medienberichten zufolge hatte Winterkorn in der Präsidiumssitzung bis zuletzt um seinen Chefsessel gekämpft. Doch für den "glaubhaften Neuanfang", wie Huber es nennt, muss er nun seinen Platz räumen.

Daran ändert selbst die Unschuldsvermutung für den Schwaben nichts. "Wir wollen dabei ausdrücklich festhalten, dass Herr Dr. Winterkorn keine Kenntnis hatte von der Manipulation von Abgaswerten", betont Huber. Insider erklären, dass er es als oberster Chef der Entwicklungsabteilung hätte wissen müssen. VW stellte jedenfalls Strafanzeige gegen unbekannt, um den Vorgang aufzuklären.

151 Tage nach dem spektakulären Rücktritt von Ex-VW-Patriarch Piëch ist nun auch Winterkorn als Verlierer aus einer schweren Krise in die Volkswagen-Historie eingegangen. Anders als im hektischen Frühjahr hatte der VW-Chef diesmal aber zu keinem Zeitpunkt einen öffentlichen Unterstützer. Und anders als bei Piëch ist das Präsidium glaubhaft bemüht, Winterkorns Rauswurf mit lobenden Worten zu erleichtern.

"Seine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen in dieser schwierigen Situation für Volkswagen und damit ein deutliches Signal zu setzen, haben wir mit größter Hochachtung zur Kenntnis genommen", sagt Huber und verweist auf die herausragende Leistung. Auch Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufseher Stephan Weil ist dies wichtig: Unter Winterkorn sei VW zum Weltkonzern aufgestiegen. Der mächtige Mann wandte sich isoliert und hilflos per Videobotschaft an die Öffentlichkeit und seine rund 600 000 Mitarbeiter. "Auch deshalb bitten wir, bitte ich, um Ihr Vertrauen auf unserem weiteren Weg", hatte er am Dienstag mit holpriger Stimme gesagt. Im Rückblick scheint seine Körpersprache schon zu diesem Zeitpunkt verraten zu haben, dass er selbst nicht an diese Chance glaubt.

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