Dissens im Tiefschnee

Kreuth · Zum zweiten Mal seit Jahresbeginn kommt Kanzlerin Merkel nach Kreuth, um ihre Flüchtlingspolitik zu erklären. Doch die Geduld der CSU schwindet. Parteichef Seehofer ergeht sich in dunklen Drohungen.

Die Kanzlerin muss gewusst haben, dass es kein einfacher Termin werden würde. Dass es auf der Klausur der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth anders zur Sache gehen würde als bei den Bundestagsabgeordneten vor zwei Wochen. Aber gleich so?

Tatsächlich tritt der Streit zwischen CSU und Kanzlerin über die Flüchtlingspolitik am Mittwoch so offen zutage wie selten zuvor. Merkel erteilt der Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge erneut eine Abfuhr - und wird mit Kritik überschüttet. Finanzminister Markus Söder etwa sagt nach Teilnehmerangaben: "Die Lage ist aus dem Ruder gelaufen." Die Grenzen offen zu lassen, sei ein "schwerer Fehler". Der Zorn ist immens unter den Abgeordneten. Deutlich wie nie fordern sie endlich einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik : "Für das Jahr 2016 liegt für uns die verträgliche Obergrenze bei 200 000", heißt es in einem Papier, das die Fraktion vor Merkels Ankunft einstimmig beschlossen hat. Auch Parteichef Horst Seehofer hat den Druck vorab noch einmal erhöht - und von Merkel einen Kurswechsel binnen weniger Wochen verlangt. Er will sich nicht länger "abspeisen" lassen und ist fest entschlossen, notfalls gegen den Bund zu klagen. Er warnte die Abgeordneten sogar schon: "Es können schwere Entscheidungen auf uns zukommen."

Merkel aber lehnt einen schnellen Kurswechsel samt Festlegung einer nationalen Obergrenze weiter klar ab: "Worin wir uns einig sind, ist, dass wir die Zahl der ankommenden Flüchtlinge spürbar und nachhaltig reduzieren wollen", sagt sie. Sie betont, sie könne nicht gleichzeitig international verhandeln und parallel dazu nationale Maßnahmen ergreifen. Eine wirksame europäische Lösung zu finden sei in kurzer Zeit nicht möglich, antwortet CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer. Weil niemand an ein schnelles Einlenken der Kanzlerin glaubt, wird unter den Abgeordneten in Kreuth lebhaft diskutiert - freilich nicht in großer Runde. Was tun, wenn Merkel nicht einlenkt? Die völlige Eskalation - der Austritt aus der Berliner Koalition - kommt für die allermeisten nicht infrage. Die CSU hat keinen direkten Hebel, um Merkel zur Kehrtwende zu zwingen. Ihr bleibt deshalb nichts anderes übrig, als den Druck immer weiter zu erhöhen. Viele Abgeordnete sagen inzwischen, wenn Merkel ihre Politik nicht korrigieren wolle, müsse sie ihr Amt abgeben. Am deutlichsten wird Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich. Er sagt zu Merkel nach Teilnehmerangaben: "Wenn es nicht in absehbarer Zeit eine andere Flüchtlingspolitik gibt, dann gibt es bald eine andere Kanzlerin."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort