„Digitale Medien sind unfassbar mächtig“
Saarbrücken · Der Saarbrücker IT-Sicherheitsforscher spricht über Gefahren im Netz, Fake News, den Standort Saarland und ein neues Schulfach.
Professor Michael Backes (39) hat in Saarbrücken auf dem Gebiet der IT-Sicherheit ein Institut mit internationalem Format aufgebaut. Das Cispa hat allein in den vergangenen fünf Jahren 75 Millionen Euro Forschungsgelder eingeworben und zieht Studenten und Wissenschaftler aus aller Welt an. Seit diesem Jahr kooperiert das Institut auch mit der US-Elite-Uni Stanford.
Herr Backes, Cyber-Terroristen greifen ein Atomkraftwerk an - dieses Horrorszenario gibt es. Wie realistisch ist das?
Backes Sich irgendwo reinzuhacken, ist die eine Sache, aber ein AKW in die Luft zu jagen, ist eine ganz andere. Da gibt es auch physischen Schutz. In Sachen Infrastruktur ist weniger eine Explosion das Problem, sondern das massive Lahmlegen von Anlagen. Das ist in der Tat möglich. Dazu kommt das Abgreifen von Daten - mehr denn je in der Industrie 4.0. Wenn ich weiß, wie genau BMW Autos baut, fällt mir das Klonen natürlich extrem leicht. Und ich kann beliebiges Chaos stiften: Drei Schrauben, die falsch gesetzt werden, und das wird dann erst nach Monaten entdeckt, falls überhaupt. Da entstehen Milliardenschäden.
Ein Cyber-Angriff auf ein Atomkraftwerk macht Ihnen also weniger Angst?
Backes Wäre das wirklich das Schlimmste? Die Manipulation über Medien könnte langfristig für die Demokratie schlimmer sein. Es ist nicht wirklich klar, was bei den US-Wahlen passiert ist, aber es spricht ja viel dafür, dass das zum Teil durch gezielte Medienmanipulation beeinflusst wurde. Das geht wirklich an die Grundwerte der Demokratie. Ich erwarte solche Manipulationsversuche auch für die Bundestagswahl im Herbst. Digitale Medien sind unfassbar mächtig geworden, weil ich heute Bots habe, die sinnlos falsche Sachen nachplappern, das können viele Menschen nicht mehr unterscheiden. Ich kann Meinungsmache inzwischen mit völlig falschen Fakten betreiben, es gibt sehr oft keinen Filter mehr.
Facebook oder Twitter erfüllen diese Aufgabe jedenfalls nicht…
Backes Ich kann digital viel, viel einfacher falsche Informationen verbreiten. Dazu kommt: Welche Informationen bekommt der Nutzer angezeigt? Oft wird alles so vorgefiltert, dass Menschen sich in ihrer Meinung bestätigt sehen. Das ist kritisch, sie nehmen keine Vielfalt der Meinung mehr wahr. Wenn ich das Gefühl bekomme, alle sehen es so wie ich, dann ist das der Nährboden für Intoleranz und das ist gefährlich. Da hat das Silicon Valley eine Mitschuld. Und das wissen die auch.
Was beunruhigt Sie noch?
Backes Das Abgreifen von Daten in sozialen Netzwerken. Das große Problem in unserer Welt ist Profilbildung. Ich kenne Vorlieben, Bewegungsmuster, Tagesabläufe, ich kann in gewisser Weise in die Zukunft sehen, der Nutzer wird gläsern. Das ist gefährlich, das hat uns auch unsere eigene Geschichte gelehrt. Heute haben Sie eine Vielzahl von Daten, die sie leicht zur Rasterfahndung gegen Unschuldige verwenden können.
Diese Profilbildung ist gängige Praxis im Internet?
Backes Ja. Der finanzielle Motor des Internet ist Werbung, nichts anderes. Das ist ein riesiges Business. Fast alle Seiten sammeln Daten, andere bearbeiten sie, das geschieht alles vollautomatisch - und ist massiv missbrauchbar.
Wie zum Beispiel?
Backes Wenn in fünf Jahren Ihr Tarif für eine Berufsunfähigkeitsversicherung plötzlich drei Mal so hoch wird wie der Ihres Büronachbarn, werden Sie keine Begründung bekommen. Ich fürchte, dass die Antwort auf Nachfrage sein wird, dass der Computer das so berechnet hat. Wir werden uns in Zukunft viel, viel mehr mit Datenschutz beschäftigen müssen, als es jetzt der Fall ist.
Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren damit. An Ihrem Institut für IT-Sicherheit arbeiten rund 200 Wissenschaftler aus aller Welt. Woran genau?
Backes Wir beschäftigen uns mit allen Aspekten der IT-Sicherheit, von der exzellenten Grundlagenforschung bis zur Anwendung - als konkretes Beispiel damit, Apps beim Herunterladen zu ummanteln, um Dinge abzufangen, die nicht gewünscht sind. Wenn eine Taschenlampen-App plötzlich Internetzugang haben will, dann stimmt da etwas nicht. Aber das löst nur ein Problem unter 5000. Was wir uns zurzeit ansehen, ist etwas viel Fundamentaleres. Die Vision ist, unsere Privatsphäre im Internet zu bewerten. Wenn Sie surfen, etwas kaufen wollen oder Online-Banking machen, sollte es etwas geben, das Ihnen die Konsequenzen dieser Handlung auf Ihrer Privatsphäre aufzeigt. Hat das schlimme oder moderate Konsequenzen oder ist es akzeptabel? Ganz plakativ würde das System fragen: "Wenn Sie das jetzt auf Facebook posten, sieht das morgen Ihr Chef. Ist das okay?" Solch ein System wäre der Heilige Gral.
Woher kommt das Geld für Ihre Forschung?
Backes Wir haben allein in den vergangenen fünf Jahren 75 Millionen an Forschungsmitteln eingeworben. Diese Mittel kommen aus Exzellenz in der Forschung, nur selten aus der Wirtschaft. Das ist in Deutschland wohl einzigartig.
Der Informatik-Standort Saarbrücken genießt einen sehr guten Ruf, dennoch dürfte es schwierig sein, die besten Köpfe hier zu halten?
Backes Sie zu halten, ist leicht, sie hierher zu bekommen, ist schwer. Wer immer uns hier gesehen hat, wer mal ein halbes Jahr hier gearbeitet hat, geht normalerweise nicht mehr weg. Natürlich gibt es Ausnahmen und Grenzen. Wer unbedingt nach New York will, den kriegen sie nicht. Doch es gibt viele Leute, die keine Großstadt brauchen, die gut leben wollen, die sind begeistert hier. Es geht ja darum: Kommt jemand aus Indien nach Saarbrücken oder geht der nach Berkeley oder Stanford.
Ein eher familiärer Umgang und Institute in direkter Nachbarschaft, mit denen man kooperieren kann: Ist das auch für Sie der Grund, im Saarland zu bleiben?
Backes Ja. Ich habe lange überlegt, in die USA oder sonst wohin zu gehen. Aber ich möchte lieber hier etwas Großes aufbauen.
Wie ist die Unterstützung von Seiten des Landes?
Backes Ich kann mich da nur lobend äußern. Die Politik hat sich immer für uns eingesetzt. Über die Parteigrenzen hinweg hat man verstanden, dass es eine Investition in die Zukunft ist. Und sie hat sich ja schon ausgezahlt. Trotzdem müssen wir mit Land und Bund über eine Grundfinanzierung sprechen. Die großen Fragen muss man mit einer gewissen Beständigkeit angehen. Projektfinanzierung ist immer kurzfristig gedacht, was manchmal eine Katastrophe ist, weil sie Top-Forscher nicht längerfristig halten können. Das ist ein riesiges Problem. Ohne Grundfinanzierung kann es kein Institut auf Dauer schaffen, zumindest keines, das den Anspruch hat, mit 200, 300 Leuten dieses Gebiet zu bearbeiten. Aber ich bin sicher, dass wir eine Lösung finden.
Warum sind Sie weiter als Forscher tätig - statt in der freien Wirtschaft richtig Geld zu verdienen?
Backes Unser Kern ist die wissenschaftliche Neugier, nicht Produkte. Wenn Sie eine gute Idee haben, kupfert die jemand ab und dann war's das. Aber wenn sie ein tiefes Problem gelöst, ein dickes Brett durchbohrt haben, können sie plötzlich etwas, was sonst niemand kann. Anders gesagt: Wir lösen die harten Probleme.
Sie haben die USA angesprochen. Wie ist Ihr Blick aufs Valley?
Backes Das Silicon Valley tut gerne so, als wenn man die Welt verbessern wolle. Vor allem aber will man natürlich Geld verdienen. Ansonsten muss man sagen, dass gerade Google sehr viel forscht. Das ist ein Genuss. Google will Vorherrschaft durch Forschung.
Nochmals zu den digitalen Gefahren. Aus Angst vor Angriffen rüsten auch Staaten massiv auf. Richtig?
Backes Völlig klar ist, das immer mehr durch Cyber-Aktivitäten beeinflusst wird. Es sind nicht alles Angriffe, aber sie können heute vieles manipulieren, beeinflussen, abgreifen, verändern, zerstören, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen. Das ist einfach so. Was früher klassische Polizeiarbeit war, muss heute digital angereichert werden.
Wie gefährlich ist das Internet?
Backes Die Digitalisierung birgt viel mehr Chancen als Risiken, aber die Risiken werden auch größer. Je mehr ich vernetze, umso mehr Daten sind im Prinzip für alle verfügbar.
Wie sicher ist zum Beispiel Online-Banking?
Backes Sehr sicher gegen realistische Angriffe. Es ist der klassische Fall, der wissenschaftlich gelöst ist und in der Praxis wirklich gut funktioniert.
Sind Smartphones heute das größte Sicherheitsrisiko?
Backes Ein Smartphone kann gehackt werden, das ist aber eher selten der Fall. Für die Bevölkerung das weitaus größere Problem ist ein anderes. Wenn ich irgendeine App installiere und gefragt werde, ob sie Mails lesen, Kontakte sehen und das alles ins Internet schicken darf, wenn ich dann Okay drücke, hat das unabsehbare Folgen.
Heißt das, wir geben unsere eigene IT-Sicherheit leichtfertig auf?
Backes Es gibt immer zwei Komponenten: Was macht der Benutzer daraus und was kann man technologisch tun, um ihn trotzdem zu schützen? Ein Benutzer, der nicht aufpasst, ist immer ein Problem. Denn je mehr man über mich weiß, desto eher kann man Inhalte so filtern und formulieren, dass ich sie annehme - von Werbung bis zu Fake News.
Gibt es Möglichkeiten, etwa bei Facebook Nachrichten auf ihre Richtigkeit hin zu untersuchen?
Backes Die Grundfrage ist, ob sich unterscheiden lässt, was echt und unecht ist. Mittlerweile wird über den Wahrheitsgehalt von Aussagen geforscht. Über die Frage etwa, ob Mitteilungen aus unabhängigen Quellen kommen oder ob sie nachgeplappert sind. Da ist man relativ weit. Echt und unecht zu unterscheiden, ist aber nur der erste Schritt. Ein Zweites ist es, zu klären, welchen Algorithmus Netzwerke wie Facebook benutzen, mit denen gegebenenfalls auch Fake News verbreitet werden. Da ist man auf die Kooperation von Facebook angewiesen.
Sehen Sie eine Chance, die Manipulationsmöglichkeiten, die Algorithmen bieten, zu unterbinden, solange damit Geld verdient wird?
Backes Sie haben Recht. Es gibt Menschen, die es gut finden, dass sie eine Möglichkeit gefunden haben, dass Leute sich nicht mehr mit der Wahrheit auseinandersetzen. Angenommen, man hätte ein Programm, dass zwischen wahr und unwahr unterscheiden könnte, eine Art gottgegebenes Orakel also. Diejenigen, die Interesse an der Unwahrheit haben, würden das Programm diskreditieren. Sie haben also immer eine Art Henne-Ei-Problem. Das sehen Sie an Trump und seinem Umgang mit Fakten-Checkern. Mit anderen Worten: Wer paranoid ist und allem misstraut, wird auch ein solches Programm nicht anerkennen. Wir müssen aber Verlässlichkeit garantieren für all diejenigen Leute, die sich nicht in die Irre führen lassen wollen.
Ist Bildung also wieder mal der Schlüssel zu allem?
Backes Wir wollen die digitale Bildung in unsere Schulen holen. Damit meine ich weniger Medienkompetenz. Das ist nur ein Teil der Lösung. Sondern wir müssen den Schülern ein Grundverständnis mitgeben, wie die Algorithmen und Geschäftsmodelle funktionieren, die hinter allem stecken. Man muss ihnen beibringen, wie unsere Welt tickt. Und zwar ab Klasse eins. Genauso wie Mathe und Deutsch brauchen wir ein Fach Computing. Gemeint ist damit weniger Programmieren als das Schulen des logischen Denkens.
Das Thema Digitalisierung wird im Saarland in den Schulen bislang sehr auf den technischen Aspekt verengt…
Backes Richtig. Computing bedeutet nicht, den Umgang mit Computern zu schulen. Eine Programmiersprache ist letztlich nichts anderes als ein Kochrezept. Es geht darum, Kinder spielerisch an logisches Denken heranzuführen. Oder zu erklären, was eigentlich passiert, wenn man etwas postet. Was bei diesem einen Knopfdruck im Hintergrund geschieht.
Das Gespräch führten Hélène Maillasson, Christoph Schreiner und Thomas Schäfer.