Sprechstunde per Video Die Telemedizin kommt nur schleppend voran

München · Als der Deutsche Ärztetag vor einem Jahr die Hürden für die Fernbehandlung von Patienten senkte, war die Aufbruchsstimmung groß. Doch der Durchbruch lässt auf sich warten.

„Es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem, was versprochen wurde, und dem, was wirklich geschieht“, so fasst Florian Weiß die Entwicklung der Telemedizin in Deutschland zusammen. Er ist Geschäftsführer des Münchner Arztbewertungs-Portals Jameda, zu dem auch der Videosprechstunden-Dienstleister Patientus gehört. Als der Deutsche Ärztetag vor einem Jahr dafür gesorgt hat, dass Ärzte per Telemedizin auch Patienten behandeln dürfen, die sie vorher nie gesehen haben, gab es Aufbruchsstimmung unter Firmen und auch Ärzten. Jetzt aber stellt Weiß fest: „Die Telemedizin ist immer noch nicht in der Breite angekommen.“

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sieht die Umsetzung der Fernbehandlung gleichwohl „auf einem guten Weg“. Er ist sicher: „Video-Sprechstunden werden sich als eine von vielen Formen ärztlicher Patientenversorgung in Deutschland etablieren.“ Dabei hofft nicht nur Patientus darauf, dass sich telemedizinische Lösungen schneller verbreiten als im zurückliegenden Jahr. Auch bei der Teleclinic GmbH, die von München aus rund 250 Ärzte mit Patienten per Online-Chat und Video-Sprechstunde zusammenbringt, wartet Geschäftsführerin Katharina Jünger auf einen Durchbruch. Der sei vor allem aus einem Grund ausgeblieben, glaubt sie: Bislang können Ärzte eine Fernbehandlung ohne weiteren direkten Kontakt nur bei Privatpatienten problemlos abrechnen. Kassenpatienten sind weitgehend außen vor. Deshalb müsse Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schnell seine Ankündigung umsetzen, auch für Kassenpatienten die Honorierungsregeln zu ändern, wünscht sich Jünger.

Gleichzeitig drängen neue Akteure in die Fernbehandlung. Die Rhön-Klinikum AG mit Sitz im unterfränkischen Bad Neustadt an der Saale hat eine Zusammenarbeit mit dem Schweizer Unternehmen Medgate vereinbart, es ist nach eigenen Angaben mit rund 300 Mitarbeitern an fünf Standorten „das größte ärztliche telemedizinische Zentrum Europas“. Ärzteverbände beobachten die neuen Entwicklungen mit kritischem Interesse. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg betreibt seit gut einem Jahr mit Teleclinic ein Pilotprojekt, um die Fernbehandlung auch von Kassenpatienten zu erproben. Und Bundesärztekammer-Präsident Montgomery betont: „Als Einstieg in den Kontakt zu einem Arzt wollen inzwischen viele Menschen auch elektronische Zugangswege.“ Ihm ist aber auch wichtig, Grenzen der Telemedizin aufzuzeigen: Im Begriff „Behandlung“ stecke nicht ohne Grund das Wort „Hand“, stellt Montgomery fest.

Teleclinic-Chefin Jünger setzt darauf, dass sich die Reibungspunkte überwinden lassen. Die Erfahrungen ihres Unternehmens hätten gezeigt, dass es viele Patientengruppen gebe, die sich mehr Möglichkeiten in der Telemedizin wünschen: „Berufstätige, die wenig Zeit haben. Junge Familien mit Kindern. Ältere Menschen, die nicht so mobil sind.

Erst einmal ist aber immer noch eine Studie aktuell, die die Bertelsmann-Stiftung im November veröffentlicht hatte. Die Stiftung hat 17 Länder darin verglichen, wie weit sie in der Medizin die Digitalisierung vorangebracht haben. Deutschland kam auf Platz 16. Das war der vorletzte Platz, vor dem Schlusslicht Polen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort