Manfred Weber zwischen Aufstieg und Absturz Die Stärke des Verlierers

Brüssel · Manfred Weber galt vielen schon als neuer EU-Kommissionspräsident. Dann wurde er fallengelassen. Wie geht er mit der Enttäuschung um?

Brauchte nur wenige Stunden um sich zu sammeln und die Christdemokraten auf Ursula von der Leyen einzuschwören: EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber.

Brauchte nur wenige Stunden um sich zu sammeln und die Christdemokraten auf Ursula von der Leyen einzuschwören: EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber.

Foto: picture alliance/AP Photo/dpa Picture-Alliance / Ettore Ferrari

Es war einer dieser Abende in dieser Woche, an denen sich die Brüsseler Politiker beim gemeinsamen Abendessen den EU-Korrespondenten stellen. Plötzlich ist er da, Manfred Weber, 46. Kaum eine Woche, nachdem ihn die Staats- und Regierungschefs so abrupt fallen ließen. Noch immer wirkt sein Lächeln verkrampft, um diese Demütigung, diese politische Demontage zu überspielen. „Ich habe ein gutes Wochenende hinter mir“, erzählt er. „Zum ersten Mal seit Monaten konnte ich das Handy abschalten und nicht ans Telefon gehen.“

Er war der Shooting-Star der europäischen Christdemokraten. Vor gerade Mal acht Monaten hoben sie den CSU-Politiker auf den Olymp und machten ihn zum Spitzenkandidaten für die Europawahl. Dass die Europäische Volkspartei (EVP) wieder die stärkste Kraft im neuen Abgeordnetenhaus der EU werden würde, stand fest – und damit auch der Durchmarsch Webers an die Spitze der Europäischen Kommission. Trotz der früh formulierten Ablehnung des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, die dieser übrigens bei einem persönlichen Gespräch mit Weber in Paris nicht zur Sprache brachte.

In einer vergleichbaren Situation vor fünf Jahren erkannte der sozialdemokratische Wahlverlierer Martin Schulz den Sieg seines christdemokratischen Gegners, des Luxemburgers Jean-Claude Juncker, an, versammelte das Parlament hinter sich und brachte es daraufhin gegen die Staats- und Regierungschefs in Stellung. Am Ende konnten die Staatenlenker nicht anders, als Juncker zu befördern. „Diese Solidarität der Verlierer mit dem Wahlsieger hätte sich Weber jetzt auch gewünscht“, heißt es aus dem ehemaligen Wahlkampf-Team.

Tatsächlich gab es keine Unterstützung, nicht einmal mehr ein Gespräch. Weber habe immer wieder versucht, seinen sozialdemokratischen Herausforderer Frans Timmermans und auch die Liberale Margrethe Vestager zu kontaktieren. Nachrichten wurden geschrieben und blieben unbeantwortet.

Und dann folgten die EU-Gipfel und eine „sehr seltsame Allianz“ (Weber) des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán. Der eine sprach Weber die notwendige Regierungserfahrung ab. Der andere polemisierte gegen den Niederbayern, der angesichts des Streits um Demokratie-Defizite in der ungarischen Regierung angekündigt hatte, er wolle nicht mit den Stimmen aus Budapest zum Kommissionschef gewählt werden. Orbán sann auf Rache, verhinderte Weber beim EU-Gipfel zusammen mit anderen und konterte ironisch: „Wir haben seiner Bitte entsprochen.“

Jetzt sagt Weber offen: „Was weh tut, ist die persönliche Diskreditierung, die ich erfahren habe.“ Dabei ist das Lächeln verschwunden. Nur auf die Bundeskanzlerin lässt er weiter nichts kommen. Es habe „immer intensiven Kontakt“ gegeben. Er könne „keine Anzeichen mangelnder Unterstützung erkennen“. Weber will fair bleiben, auch in dieser Situation. „Ich habe mehrfach deutlich gemacht, dass das Paket, das beim EU-Gipfel entschieden wurde, nicht meines ist. Aber ich trage es als Verantwortlicher mit.“ Ein großer Verlierer, was man nicht von allen Darstellern in dieser beklemmenden europäischen Phase sagen kann.

Wer Weber wirklich verstehen will, findet Antworten bei einer Sitzung seines engsten Mitarbeiterkreises in dieser Woche. Es gehe doch nicht um Personen oder gar um ihn, sagte er da, sondern um ein starkes Europa. Und dann tröstete und baute der, der selbst am meisten getroffen sein müsste, seine Helfer auf, wie er es schon einmal in der Sitzung der eigenen Fraktion am Tag des Sondergipfels getan hatte. Parteifreunde sprechen noch immer von einer „großen Szene“.

Der gerade erst Gestürzte brauchte nur wenige Stunden, um sich zu fangen und dann die Christdemokraten auf Ursula von der Leyen einzuschwören. „Der Manfred hat seine eigene Enttäuschung total zurückgestellt und dafür gesorgt, dass die europäischen Unionsparteien sich nunmehr hinter der deutschen Verteidigungsministerin versammeln“, berichtete ein deutscher CDU-Abgeordneter. „Wenn wir als EVP schon den Kommissionspräsidenten stellen können, dann stehen wir hinter der Kandidatin“, habe Weber aufmunternd in den Saal gerufen. Es gab minutenlangen Applaus für den Niederbayern.

Trotzdem steckt der CSU-Politiker solche Rückschläge nicht einfach weg. „Ich bin noch immer tief enttäuscht“, räumte er in dieser Woche ein. Mehr Emotionen erlaubt sich Weber öffentlich nicht. Auf die Frage, ob es nicht Momente gab, in denen er am liebsten explodiert wäre, antwortet er: „Nein.“ Er bekomme viel „positive Rückmeldungen und Ermutigung“. „Das ist für mich als Mensch zentral, wie man miteinander umgeht.“

Vielleicht kann er deshalb auch fast beiläufig darüber hinweggehen, dass er seinen Masterplan, den er für die vielen Gespräche auf dem Weg an die Kommissionspitze ausgearbeitet hat, „ohne zu zögern“ (wie aus dem inneren Zirkel der EVP betont wird) an von der Leyen abgetreten hat. Dennoch ist „absurd“ das Wort, das man aus Webers Umfeld in diesen Tagen besonders häufig hört. „Absurd“ sei das Aushebeln des Spitzenkandidaten-Modells. „Absurd“ bleibe auch, wie die Demokratie in dieser Union aufs Abstellgleis geschoben wurde. „Absurd“ erscheine im Rückblick auch die Attacke des ungarischen Premiers, der mit Weber ja einen Politiker aus der gleichen Parteienfamilie derart demontierte, dass sich manche fragen, ob der CSU-Politiker nicht beschädigt zurückbleibt.

Weber fällt nicht ins Bodenlose. Seine 181 Fraktionskollegen haben ihn – übrigens einstimmig – wieder zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Er könnte, wenn er wollte, in zweieinhalb Jahren Parlaments­präsident werden. Markus Söder, CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, nannte sogar einen neuen Anlauf Webers auf das Amt des Kommissionschefs in fünf Jahren „realistisch“.

Aber Weber weiß, dass „in zweieinhalb oder fünf Jahren viel passieren kann. Es ist müßig, jetzt darüber zu spekulieren.“ Zunächst wolle er Ursula von der Leyen dabei helfen, das Spitzenkandidaten-Modell „endgültig zu etablieren und festzuschreiben“. Im Hintergrund, so ist zu hören, gebe er der Kandidatin, Tipps und Hinweise, wie sie ihre Bewerbungsrede halten solle, mit der sie am Dienstag wenige Stunden vor der Abstimmung noch um eine Mehrheit ringen will. Und dann? „Ich mache jetzt erstmal Urlaub“, sagt Manfred Weber. Zu Hause, in Niederbayern, mit seiner Frau, mit Freunden.

Spätestens Ende August will er wieder in Brüssel an die Arbeit gehen, um „an dem demokratischen Europa weiterzuarbeiten, das wir den Menschen bei der Wahl versprochen haben“, wie er sagt. Manfred Weber hat vielleicht die Auseinandersetzungen dieser Wochen nicht gewonnen. Aber wie ein Verlierer will er auch nicht rüberkommen.

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