Die schwarze Pest ist längst nicht vorüber

New Orleans · Elf Tote und ein Ölteppich von der Größe Jamaikas: Die Explosion der BP-Bohrinsel „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko war beispiellos. Fünf Jahre später liegen immer noch Teer-Klumpen an Louisianas Küste – und das Ausmaß der Katastrophe bleibt unklar.

Der Tag beginnt für Al Sunseri mitten in der Nacht. Auf den Gehwegen lungern noch ein paar Trunkenbolde herum, als er gegen 3.30 Uhr in seinem Austernbetrieb in New Orleans das Licht anknipst. Noch vor ein paar Jahren herrschte bei der "P&J Oyster Company" morgens Hochbetrieb: Kühltrucks rollten vor die Verladezone in der Toulouse Street, säckeweise kippten Mitarbeiter frisch gefangene Austern zur Weiterverarbeitung auf lange Stahltische.

Heute steht in der Halle ein einziger Mann mit Schürze und Gummihandschuh und knackt schweigend ein Häufchen der kalten, grüngrauen Muscheln. Und Sunseri erzählt von dem Tag, der seinen 139 Jahre alten Familienbetrieb aus der Bahn werfen sollte: die Explosion der BP-Bohrinsel "Deepwater Horizon " am 20. April 2010.

Kilometerweit waren in jener Nacht die Flammen zu sehen, als sich auf der schwimmenden Bohrplattform Gas entzündete und nach einer Explosion einen Großbrand auslöste. Für die 126 Arbeiter begann ein Kampf ums Überleben. 36 Stunden brannte "Deepwater Horizon ", ehe sich die Metallkonstruktion verbog und schließlich im brennenden Meer versank. Auf den Tod von elf Menschen folgte die schwerste Ölkatastrophe in der Geschichte der USA.

Wie Schokoladensirup habe der tiefschwarze Schlick an der Hand geklebt, erinnert sich Dave Marino. Er bringt Hobby-Angler raus auf die Barataria-Bucht, um den begehrten Roten Trommler und andere Fische zu fangen. Was in den Wochen darauf folgte, waren Bilder verschmierter Vögel und Fische, ein Ölteppich von der Größe Jamaikas und 1000 Kilometer schmutzverklebte Küste.

Für Al Sunseris Unternehmen, das er mit seinem Bruder Sal betreibt, ist das Ausmaß der Katastrophe noch nicht absehbar. Fast der gesamten Belegschaft musste er kündigen, heute verkauft er etwa ein Drittel der Austern-Menge von 2010. Unten am Hafen von Pointe à la Hache geht es den Fischern nicht anders.

Wie viel Rohöl tatsächlich in den Golf von Mexiko sprudelte, darüber streiten sich BP und die amerikanische Regierung bis heute. 3,19 Millionen Barrel - mehr als 380 Millionen Liter - waren es dem letzten Richterbeschluss zufolge, also mehr als vom Konzern angegeben und weniger als von der Regierung geschätzt. Erst nach 87 Tagen konnte das Leck geschlossen werden.

"Die Umwelt am Golf zeigt starke Zeichen von Erholung, vor allem wegen seiner natürlichen Belastbarkeit sowie der beispiellosen Reaktion und der Aufräumarbeiten", teilte Laura Folse, BP-Chefin für Umweltsanierung, Mitte März schließlich mit. Der Golf kehre zu den Bedingungen zurück, die vor der Ölpest herrschten, heißt es im Fünfjahresbericht.

Die Regierung sieht das anders. "Es ist unangemessen und voreilig von BP , Schlussfolgerungen über die Folgen der Verschmutzung zu ziehen, bevor die Beurteilung abgeschlossen ist", reagierte der Rat der Umweltbehörden NOAA und EPA, den Innen- und Landwirtschaftsministerien sowie den betroffenen Bundesstaaten Alabama, Florida, Louisiana, Mississippi und Texas. Auf der Insel East Grand Terre findet man bis heute entsprechende Beweise: Dort liegen dunkle, klebrige Teer-Klümpchen im Sand.

Das Ökosystem im Mississippi-Delta und im Golf ist zu komplex, als dass man mit dem Finger nur auf BP zeigen könnte, um dem Konzern sämtliches Unheil in die Schuhe zu schieben. Forscher sind uneins, ob etwa der drastische Rückgang der Austernbestände seit 2010 vielleicht auch durch andere Faktoren beeinflusst werden könnte. Für viele Pflanzen- und Tierarten fehlt es schlicht an Daten vor dem Unfall. Die Forschungen dauern an.

Und so bleibt der Fall "Deepwater Horizon " auch fünf Jahre später eine Frage der Zukunft. 14,3 Milliarden Dollar Kosten beziffert BP bislang für die Katastrophe, und die Rechnung könnte noch deutlich teurer werden. Die Kinder und Enkel der Fischer werden irgendwann entscheiden müssen, ob sie ihr Glück noch mit Austern, Krabben und Shrimps versuchen wollen. Sal Sunseri hat seinem 16-jährigen Sohn jedenfalls verboten, über den Sommer bei P&J mit den Austern zu helfen. Der Junge soll Ingenieur werden.

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