Die Schlagbäume bleiben oben

Brüssel. Europas Grenzen bleiben offen. Auch nach der Flüchtlingswelle aus Nordafrika will die EU nicht zu Schlagbäumen und Passkontrollen zurückkehren. "Der freie Personenverkehr über die europäischen Grenzen hinweg ist eine große Errungenschaft, die nicht rückgängig gemacht werden darf", sagte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström gestern in Brüssel

 EU-Innenkommissarin Malmström will unbedingt an offenen Grenzen festhalten. Foto: dpa

EU-Innenkommissarin Malmström will unbedingt an offenen Grenzen festhalten. Foto: dpa

Brüssel. Europas Grenzen bleiben offen. Auch nach der Flüchtlingswelle aus Nordafrika will die EU nicht zu Schlagbäumen und Passkontrollen zurückkehren. "Der freie Personenverkehr über die europäischen Grenzen hinweg ist eine große Errungenschaft, die nicht rückgängig gemacht werden darf", sagte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström gestern in Brüssel. Dennoch schmetterte sie den italienisch-französischen Vorstoß nicht rundweg ab. Das Schengen-System müsse "reformiert werden", erklärte sie. "Im Falle außergewöhnlicher Umstände, etwa wenn ein Teil der Außengrenze einer starken und unerwarteten Belastung ausgesetzt ist", könne es erforderlich sein, "zeitweilig wieder begrenzte Grenzkontrollen einzuführen".Wirklich neu ist das nicht. Aber die Feinheiten sollen geändert werden. Bisher können die einzelnen Mitgliedstaaten bei absehbaren Ereignissen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, ihre Grenzen für 30 Tage wieder dicht machen. Deutschland tat das bei der Fußball-WM 2006 und beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007. Nun sollen Flüchtlingsströme offenbar auch als möglicher Grund akzeptiert werden - vorausgesetzt, die Kommission darf entscheiden.

Ob die Mitgliedstaaten deshalb der Kommission das letzte Wort überlassen, wird sich schon in der kommenden Woche zeigen, wenn die Innenminister der EU zu einem Sondertreffen zusammenkommen. Inzwischen fragen sich Beobachter in Brüssel, ob sich vor allem Roms Regierungschef Berlusconi mit seinem Vorpreschen in Sachen Grenzkontrollen einen Gefallen getan hat. Zum einen würde er nämlich mit einer Wiedereinführung der Schlagbäume die Flüchtlinge gar nicht mehr los, die er doch so gerne auf alle Staaten verteilen würde. Zum anderen hat er das Augenmerk auf die italienische Praxis an den italienischen Einreisestellen gelenkt, die sich die EU nunmehr genauer angesehen. Bei stichprobenartigen Kontrollen fielen den Brüsseler Beamten nämlich gleich reihenweise Unregelmäßigkeiten auf: An den Flughäfen wurden Passagiere aus Drittstaaten nicht systematisch erfasst, und die Datenbestände von Polizei und Grenzbehörden stimmten nicht überein. Entweder die Innenminister folgen dem Kommissionsvorschlag und erleichtern damit die zeitweise Wiedereinführung der Grenzkontrollen auch wegen starker Flüchtlingszuströme. Dann müssen sie aber einen hohen Preis zahlen, weil die Entscheidungsgewalt nach Brüssel geht. Oder aber sie lassen ganz einfach alles beim Alten - und haben auch künftig die Fäden selber in der Hand.

Meinung

Ein völlig überflüssiger Streit

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

 EU-Innenkommissarin Malmström will unbedingt an offenen Grenzen festhalten. Foto: dpa

EU-Innenkommissarin Malmström will unbedingt an offenen Grenzen festhalten. Foto: dpa

Der Streit um die Reisefreiheit in der EU war von Anfang an völlig überflüssig. Jeder Staat kann schon bisher entscheiden, ob er aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Grenzkontrollen wieder einführen will oder nicht. Das Problem, das die tunesischen Flüchtlinge auf Lampedusa entlarven, sind nicht die offenen Grenzen. Es ist das Fehlen eines gemeinsamen Asyl- und Einwanderungsrechts. Dabei wäre es genau in dieser Situation so bitter nötig - auch um Italien von der Hauptlast der nordafrikanischen Bürgerkriegsopfer zu entlasten. Die Innenminister der EU, die in der kommenden Woche entscheiden müssen, wie es weitergeht, tun also gut daran, sich von dem italienisch-französischen Gezeter nicht verunsichern zu lassen und endlich in Sachen Asylrecht voranzukommen.

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