Berlin Die Polizei zwischen Verdacht und Vorurteil

Berlin · Die Debatte um Rassismus in der deutschen Polizei hat nicht erst mit dem Tod von George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in den USA begonnen. Wie emotionsgeladen das Thema hierzulande ist, zeigt auch der aktuelle Streit um das Berliner Antidiskriminierungsgesetz.

 Oft ist es nicht leicht einzuschätzen, ob Beamte Menschen allein aufgrund von äußeren Merkmalen wie der Hautfarbe kontrollieren.

Oft ist es nicht leicht einzuschätzen, ob Beamte Menschen allein aufgrund von äußeren Merkmalen wie der Hautfarbe kontrollieren.

Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com/dpa Picture-Alliance / Sachelle Babbar

Wer als Polizist regelmäßig etwa im Bahnhofsviertel einer deutschen Großstadt unterwegs ist, erlebt viel. Auch viel Elend, Gewalt und Respektlosigkeit. Beamte, deren Ausbildung noch nicht lange zurückliegt, haben neben Selbstverteidigung, Festnahmetechniken und rechtlichen Fragen auch Ethik und Menschenrechte auf dem Lehrplan gehabt. Das alleine kann aber nach Einschätzung von Experten nicht verhindern, dass junge Polizisten rassistische Denkmuster entwickeln oder gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte einen herabwürdigenden Ton anschlagen.

Nach dem ersten Praxisschock hänge viel vom Vorbild der älteren Kollegen im Team ab, sagt Rafael Behr von der Akademie der Polizei in Hamburg. Wenn diese erfahrenen Beamten in heiklen Situationen nicht angemessen handelten und kommunizierten, könnten sich Stereotype und Vorurteile verfestigen. Er nennt als Beispiel eine Situation, in der nicht ganz einfach einzuschätzen ist, ob es um eine normale Kontrolle oder um sogenanntes racial profiling geht – also an Stereotypen und ethnischen Merkmalen orientiertes Handeln von Behördenvertretern: Polizisten halten nachts im Bahnhofsviertel eine tiefergelegte Limousine an, in der vier junge Männer mit Migrationshintergrund sitzen. Sie fragen nach Ausweisen und Fahrzeugpapieren. „Warum habt ihr uns angehalten?“, fragt einer der Fahrzeuginsassen. „Ihr seid Nazis“, ruft ein zweiter den Polizisten zu.

Während Polizeianwärter früher höchstens lernten, wie man sich bei einem Besuch in der Moschee „kultursensibel“ verhält, so kommt es heute auch vor, dass Dozenten und Vertreter der Zivilgesellschaft eingeladen werden, um die „Betroffenen-Perspektive“ zu vermitteln. Sie erklären dann zum Beispiel, wie es sich für eine Studentin aus Äthiopien oder einen in Düsseldorf geborenen Afrodeutschen anfühlt, wenn sie jeden Monat mindestens einmal ihre Papiere vorzeigen müssen, während das manchen anderen Menschen im öffentlichen Raum ihr ganzes Leben lang nie passiert.

Auch rassistische Sprache sei immer noch ein großes Problem, sagt der Vorsitzende der Berufsvereinigung PolizeiGrün, Oliver von Dobrowolski. Sowohl intern als auch im Kontakt mit den Menschen auf der Straße. Dass bei der Kölner Polizei von „Nafris“ gesprochen worden sei – interner Jargon für „Intensivtäter aus Nordafrika“ – sei genauso verheerend gewesen wie der Begriff „Döner-Morde“ bei den Ermittlungen zur rechtsterroristischen NSU-Mordserie.

Von Dobrowolski ist Kriminalhauptkommissar bei der Polizei Berlin. Er sagt, ausländische Betroffene, die sich an die Polizei wenden, berichteten häufig von dem Eindruck, nicht ernst genommen zu werden, etwa „indem man ihren Aussagen keinen oder wenig Glauben schenkt oder sie wie Kinder behandelt“. Wie oft so etwas vorkommt, weiß niemand genau zu sagen. Anders als beispielsweise bei „Körperverletzung im Amt“ gibt es zu rassistischen Vorfällen und auch zum racial profiling bislang keine bundesweite Statistik. Bei der Bundespolizei habe es seit 2012 insgesamt 25 Rassismus-Verdachtsfälle gegeben, heißt es aus dem Bundesinnenministerium. Davon seien 16 Fälle durch interne Hinweise bekannt geworden. Immerhin: Die Bundesregierung hat Besserung gelobt.

Beschwert sich jemand über tatsächliche oder vermeintliche rassistische Behandlung durch Polizeibeamte, hat das meist zwei Gründe, sagt Behr: ein als willkürlich empfundener Verdacht oder schlechte Behandlung wie Duzen, die absichtliche Ansprache in Anfänger-Englisch, Anschreien oder grundloses An-die-Wand-stellen.

Das Anfang Juni beschlossene Antidiskriminierungsgesetz für das Land Berlin soll Menschen vor Diskriminierung von Seiten der Behörden schützen und in solchen Fällen auch Schadenersatzansprüche gegen das Land möglich machen. Kritik dazu kommt vom Beamtenbund, den Gewerkschaften und von zahlreichen Bundespolitikern. Sie befürchten, es werde zu einer Klagewelle führen und stelle insbesondere die Polizei unter Generalverdacht.

Wenn Tatsachen glaubhaft gemacht werden, die einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wahrscheinlich machen, obliegt es mit der neuen Regelung der öffentlichen Stelle, „den Verstoß zu widerlegen“. Vor allem daran stoßen sich die Gegner des Gesetzes. Er sehe das „sehr kritisch“, sagt auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), „weil es eben faktisch eine Umkehr der Beweislage ist“. Der Polizei latenten Rassismus zu unterstellen, sei grundfalsch.

Das Berliner Gesetz wird nächste Woche auch Thema auf der Innenministerkonferenz in Erfurt sein. Denn Bayern hat schon gedroht, in Zukunft womöglich keine Amtshilfe mehr in der Hauptstadt zu leisten. Auch mehrere CDU-Innenpolitiker meldeten Bedenken an.

Sicher, es komme auch vor, dass Polizisten im Dienst auf einen Vorhalt hin selbst Vorwürfe erdulden müssten, sagt von Dobrowolski. „Das geht von der platten Beschimpfung als ,Nazis’“ bis hin zu pauschalen Angriffen, die oft kein Fundament haben.“ Die Beweiserleichterung für Diskriminierungsopfer hält er dennoch für rechtsstaatlich geboten. Er sagt: „Dass die Polizei in großen Teilen nun empört reagiert, ist symptomatisch und indiziert das eigentliche Problem.“ Denn wer gute, rechts­staatlich einwandfreie Arbeit abliefere, müsse sich vor Kontrolle nicht fürchten.

(dpa)
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