Die Pflicht zur Mitarbeit

Die Bundesregierung sieht sich nach ihrem jüngsten Spitzentreffen für die nächsten anderthalb Jahre bis zum Ende der Wahlperiode auf gutem Weg. Mit einem Mix aus Hilfen und Pflichten wollen Union und SPD die Integration hunderttausender Flüchtlinge beschleunigen.

 Der Syrer Ahmed Alsamiye steht auf der abgelegenen Hallig Langeneß mit seiner einjahrigen Tochter Halasham am Fenster seiner Wohnung. Die Koalition strebt an, dass schutzberechtigte Flüchtlinge in Deutschland künftig räumlich besser verteilt werden, damit keine sozialen Brennpunkte und Ghettos entstehen. Foto: Rehder/dpa

Der Syrer Ahmed Alsamiye steht auf der abgelegenen Hallig Langeneß mit seiner einjahrigen Tochter Halasham am Fenster seiner Wohnung. Die Koalition strebt an, dass schutzberechtigte Flüchtlinge in Deutschland künftig räumlich besser verteilt werden, damit keine sozialen Brennpunkte und Ghettos entstehen. Foto: Rehder/dpa

Foto: Rehder/dpa

Die nächtliche Arbeit war keinem anzusehen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU ), Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD ) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU ) zeigten sich wach und aufgeräumt, als sie gestern die Ergebnisse des Koalitionsgipfels vorstellten. Neben Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, Rentenreform und Leiharbeit kündigten sie ein Novum an: Erstmals soll Deutschland ein Integrationsgesetz erhalten. Auf die Eckpunkte hatten sich die Koalitionsspitzen in der Nacht zuvor geeinigt.

Danach soll "das Prinzip des Förderns und Forderns" gelten. Dazu gehört, dass es eine "Pflicht zur Mitarbeit bei angebotenen Integrationsmaßnahmen" geben soll. Ablehnung oder Abbruch ohne wichtigen Grund führen zu Leistungseinschränkungen. Die Koalition will 100 000 zusätzliche, vom Bund geförderte "Arbeitsgelegenheiten" (Ein-Euro-Jobs) für Flüchtlinge schaffen. Ziel ist eine Heranführung von Flüchtlingen an den Arbeitsmarkt sowie eine sinnvolle Betätigung während des Asylverfahrens. Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten sind davon ausgeschlossen. Künftig erhält ein Flüchtling eine Duldung während der gesamten Zeit seiner Ausbildung. Wer abbricht, dessen Duldung erlischt. Nach erfolgreichem Abschluss bekommt er weitere sechs Monate Zeit, um sich einen Job zu suchen. Für einen Zeitraum von drei Jahren soll überdies bei Asylbewerbern und Geduldeten auf die Vorrangprüfung verzichtet werden, wonach zunächst einem deutschen oder europäischen Staatsbürger der Job angeboten werden muss. Auch Leiharbeit ist dann möglich.

In dem Papier heißt es, bisher seien Integrationskurse nicht verpflichtend, wenn eine Verständigung bereits mit einfachen Deutschkenntnissen möglich ist. Das reiche aber nicht aus. Auch in diesem Fall soll es eine Verpflichtung zu Integrationskursen geben. Zugleich will die Koalition die Wartezeit auf einen Kurs von bisher drei Monaten auf sechs Wochen verkürzen, stärker Werte vermitteln lassen und die Höchstteilnehmerzahl von 20 auf 25 pro Kurs erhöhen.

Bei Straffälligkeit wird das Aufenthaltsrecht widerrufen. Damit keine sozialen Brennpunkte oder Ghettos entstehen, sollen Schutzberechtigte besser verteilt werden. "Eine Verletzung der Wohnsitzzuweisung führt für die Betroffenen zu spürbaren Konsequenzen", heißt es in dem Papier.

Vizekanzler Gabriel betonte, das Gesetz sei der erste Schritt hin zu einem Einwanderungsgesetz, das die SPD seit langem fordere. Es sei ein Anfang für eine "tiefgreifende Veränderung in der Gesellschaft". Seine Partei war es auch, die bereits Ende 2015 dafür warb, dass mindestens fünf Milliarden Euro für zusätzliche Wohnungen, mehr Kita- und Ganztagsplätze und Maßnahmen für den Arbeitsmarkt bereitgestellt werden müssten. Auch Seehofer scheint mit den Plänen zufrieden. Das geplante Gesetz ergänze sich gut mit den bereits bestehenden Integrationsgesetzen der Länder. Es eröffne die Chance für gelingende Integration.

Kritik kam dagegen von Hilfsorganisationen. Die Bundesregierung plane ein Desintegrationsgesetz, erklärte Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt in Berlin. In der Realität gebe es ein Angebotsdefizit der Bundesregierung, nicht einen Integrationsunwillen der Flüchtlinge. Burkhardt erklärte weiter, ein Integrationsgesetz, das Sanktionen vorsehe, "fördert entgegen aller Fakten das Vorurteil, Flüchtlinge wollten sich nicht integrieren".

Das Deutsche Kinderhilfswerk erklärte, das geplante Gesetz vernachlässige die Anliegen von Flüchtlingskindern und ihren Familien. Der Deutsche Städtetag begrüßte, dass die Eckpunkte den Wunsch der Kommunen nach einer gleichmäßigeren Verteilung von anerkannten Flüchtlingen aufgriffen. Er appellierte an den Bund, die erheblichen zusätzlichen Unterkunftskosten für Hartz-IV-Empfänger für anerkannte Flüchtlinge und Asylbewerber zu übernehmen.

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