Die Odyssee des Getretenen
Madrid · „In zwei oder drei Wochen“ sollte alles erledigt sein. Doch Osama Abdul Mohsen – der Mann, dessen Schicksal die Welt bewegte – wartet noch heute darauf, mit seiner Familie vereint zu sein. Die spanischen Behörden sträuben sich.
Wenn der Syrer Osama Abdul Mohsen an seine Familie denkt, schießen ihm Tränen in die Augen. Alle hatten ihm versprochen, dass seine Frau Mountaha, Sohn Almohannad und Tochter Douhaa, die noch in der Türkei ausharren, bis Jahresende bei ihm sein werden. Bei ihm in Spanien, wo der 52-jährige syrische Flüchtling, der durch den Fußtritt einer ungarischen Journalistin zu trauriger Berühmtheit gelangte, inzwischen aufgenommen wurde. Doch die spanischen Behörden warfen Mohsen Knüppel zwischen die Beine - und lehnten die Zusammenführung der Familie ab.
Als Mohsen Mitte September aus dem Zug stieg, der ihn von München über Paris in die spanische Hauptstadt Madrid brachte, schallten ihm Willkommensrufe entgegen. Der Familienvater, der mit seinem siebenjährigen Sohn Zaid und seinem 19-jährigen Sohn Mohammed auf dem Bahnsteig stand, bedankte sich für den Empfang und sagte: "Ich bin glücklich." Zur Erinnerung: Mohsen ist jener Mann, dem eine ungarische TV-Reporterin an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn ein Bein stellte. Das Bild des stürzenden Flüchtlings, der seinen kleinen Sohn im Arm hatte, ging um die Welt und löste Empörung aus - auch in Spanien. Was dazu führte, dass die spanische Trainerakademie Cenafe den Syrer, der in seiner Heimat Fußballtrainer war, eine neue berufliche Zukunft anbot und ihn nach Spanien holte.
Er fühle sich "wie im Himmel", sagte er damals. Mehr als drei Monate später ist von Himmelsgefühlen nichts mehr übrig. 3500 Kilometer entfernt warten Mohsens Frau und Kinder auf seinen erlösenden Anruf. Anfangs hatte Spanien ihm versprochen, den Nachzug unbürokratisch zu regeln. "In zwei oder drei Wochen" sei alles erledigt. Aber dann begann eine Behördenodyssee, die ihn in die Verzweiflung trieb. "Ich weiß nicht, warum sie von mir so viele Dokumente fordern", sagt Mohsen mit müder Stimme. Er sollte von den Zurückgebliebenen nicht nur gültige Reisepässe vorlegen, die inzwischen zum Teil abgelaufen sind. Sondern auch Auszüge aus dem Strafregister, Geburtsbescheinigungen und ärztliche Gesundheitsatteste - und alles ins Spanische übersetzen lassen.
Dann der Schock: Als er in der Zwei-Wochen-Frist die Dokumente für den Visumsantrag nicht vorlegen konnte, kam die Ablehnung. Für Mohsen stürzte eine Welt zusammen. Offenbar denkt in Spaniens Ausländerbehörde, die für ihre restriktive Haltung bekannt ist, niemand daran, dass sie Unmögliches fordert. Denn viele persönliche Papiere gehen auf der Flucht verloren oder sind derzeit nicht zu bekommen. Vom Kriegsland Syrien ist keine Amtshilfe zu erwarten. Und syrische Flüchtlinge wie Mohsen, der vom Regime in Damaskus des Verrats beschuldigt wird, können auch nicht einfach in die nächste syrische Botschaft marschieren, um die Papiere in Ordnung zu bringen.
Mohsen hätte vermutlich schon die Hoffnung verloren, wenn da nicht Miguel Angel Galán wäre, der Chef der Trainerakademie Cenafe vor den Toren Madrids. Galán wirft Spaniens Regierung vor, "dass sie das Versprechen, der Familie zu helfen, nicht eingehalten hat". Auch ein persönlicher Brief an Regierungschef Mariano Rajoy half nicht. Aber der Trainerchef, dessen Akademie dem Syrer einen Job und eine Wohnung besorgte, will nicht ruhen, bis die Familie wieder vereint ist. Galán kaufte Mohsen nun ein Flugticket, damit er in die Türkei fliegen und dort wenigstens für ein paar Tage seine Familie in die Arme schließen kann. "Das ist", findet Galán, "ein Akt der Menschlichkeit."